Reisebericht Österreich: Tierparadies Aiderbichl

Reisebericht Österreich: Tierparadies Aiderbichl

Anneliese Useldinger

„Man sieht nur mit dem Herzen gut …“
das sagt der kleine Prinz im gleichnamigen Werk von Saint-Exupery Und dieses Motto möchte ich über den Höhepunkt einer Busreise stellen, die schon im vorigen Jahr vom Blinden- und Sehbehindertenverein Bonn/Rhein/Sieg e.V. geplant wurde und in diesem Jahr 2008 durchgeführt werden konnte.

Am Samstag, dem 19. April 2008, mußten wir 28 Teilnehmer samt fünf Blindenführhunden mitten in der Nacht das Bett verlassen, um pünktlich um Acht Uhr früh abfahrbereit im Bus zu sitzen. Die Fahrt begann bei trockenem Wetter, aber nach Frankfurt/Main prasselte der Regen aufs Busdach, und in den Fahrpausen wurden Schirm oder Regenhaube gebraucht. Nach München riß die Wolkendecke auf, und wir kamen im Sonnenschein im Zielort an. In der kleinen Stadt St. Georgen in Vorarlberg/Oberösterreich nahm uns das Hotel „Grüner Baum“ auf, ein schmackhaftes Abendessen rundete diesen langen Tag ab.

Nach heftigen Regengüssen in der Nacht erwartete uns der schönste Frühlingstag dieser Reise, ein Bilderbuchsonntag! Am frühen Nachmittag ging die Fahrt zum Attersee, dem größten Alpensee Österreichs. Es war nicht ganz leicht, einen passenden Busparkplatz zu finden, da – wie an den meisten Seen – die oft nur schmalen Ufer überwiegend in Privatbesitz waren, zumal an den schönsten Ausblicken auf See und die noch teilweise schneebedeckten Bergspitzen. Schließlich entdeckte unser Fahrer doch ein hübsches Plätzchen, wo wir zu einem kleinen Spaziergang geschickt wurden, während dessen fleißige Hände zusammenklappbare Tische und Bänke aufstellten, an denen wir dann bei Kaffee und Kuchen die Sonne genießen konnten. Dann wurde wieder alles im Bus verstaut, und weiter ging die Fahrt entlang diesem zauberhaft schönen Seeufer. Zum zweiten Halt fanden wir eine Parkmöglichkeit in Seewalchen kurz vor der Brücke nach Kammer. Der größte Teil der Gruppe machte sich wieder auf den Weg, um neugierig auch das gegenüberliegende Ufer zu erkunden, andere blieben in Busnähe und sahen und hörten den zahlreichen Schwänen und Enten zu, die rasch heranschwammen in der Hoffnung auf Fütterung. Eine Hobby-Botanikerin war bei uns wenigen hier ruhenden geblieben und erklärte noch manches über die beim ersten Halt entdeckten Pflanzen, die sie als Sehende einigen Blinden liebevoll in die Hand gegeben hatte.

Am Montag, dem 20. April, starteten wir schon um 10 Uhr in Richtung Salzburg nach Henndorf zum Tierparadies Aiderbichl, nur 5 km von Salzburg entfernt. Michael Aufhauser, der von sich sagt: „Ich habe nur Glück gehabt!“, war es gelungen, dieses Gut Aiderbichl , ein liebliches Stück Land, wo schon die Kelten gesiedelt hatten und es Aiderbichl, d.h. Feuerberg nannten, zu einem Refugium für verwaiste, verletzte oder mißhandelte Tiere umzugestalten. Seine Mutter ist im Alter über 80 Jahre teilweise erblindet und Mitglied in unserem Verein in Bonn, wo sie auch schon länger lebt. Dank ihrer Vermittlung zwischen Vorstandsmitgliedern in Bonn und ihrem zweiten Sohn Michael in Aiderbichl konnte unser Besuch dort zum besonderen Erlebnis dieser Reise vorbereitet und gestaltet werden. In diesem Gut mit speziellen Wasserrädern und von Hügeln umrahmt sind überwiegend Nutztiere untergebracht, wo sie ihre schlimmen Erfahrungen mit Tierfeinden vergessen und den Rest ihres Lebens in liebevoller Betreuung verbringen können. Die schlafende Sau Rosa wurde sanft für uns aufgeweckt und grunzte vergnügt; eine Ziege mit schiefem Hals und Gehbeschwerden kreuzte unbefangen unseren Weg und ließ sich geduldig streicheln. Ein netter junger Pfleger erklärte uns Verhalten und Schicksale etlicher Rinder, darunter ein Albinokalb. Auch meine spezielle frage konnte er beantworten. Ich wollte wissen, selbst Albino, ob die Tieralbinos auch unter Sehschwäche leiden. Die Antwort war Nein. Nur bei greller Sonne müssen die Pfleger achtgeben auf so ein Albinotier, da ihre Haut mit zu wenigen Pigmenten Schaden erleiden könnte. Der weiße Truthahn punky fand Gefallen an unserer Gruppe und marschierte mit, da plötzlich entdeckte er die Führhunde, beschleunigte seine Schritte und setzte zur Attacke an. Als Antwort aufgeregtes Bellen und Entfernung der Hunde aus Punkys Route. Das Pferd Pippi Langstrumpf war indessen nicht begeistert von uns. Wir wurden gewarnt, ihm nicht zu nahe zu kommen. Es dauert oft lang, bis die hierher geretteten Tiere ihre schlimmen Erlebnisse mit bösen Menschen und ihre Angst vor ihnen überwinden können. Ein stolzer Pfau schrie laut und anhaltend und schlug sein Rad zur Freude der Fotojäger. Viele Prominente haben inzwischen Patenschaften für Tiere in Aiderbichl übernommen, so z.B. Thomas Gottschalk für den Stier David, der sich gern an seinem Wuschelkopf kraulen ließ

Einige Gänse schnatterten um die Wette, sie hatten freien Weg durchs Gelände. Das war anders bei einigen Lamas – und jeder wußte: Vorsicht, die könnten uns bespucken.In einem Gehege kuschelten zwei Wildschweine dicht aneinander, und auf der Tafel stand: „just married“, frisch verheiratet. Niemand störte das junge Glück. 16 Hunde hatten hier ein besseres Zuhause gefunden, und unsere Führhunde gesellten sich zu ihnen, um miteinander zu spielen. Auf unserem Rundgang drangen die verschiedenen Stimmen der hier lebenden Tiere an unser Ohr, und wir empfanden ihre Freude über Geborgenheit, geschützte Freiheit und die liebevolle Zuneigung der Menschen, die sie hier als ihre kleinen Brüder nach dem Schöpfungsplan achten und versorgen. Dann wurden wir in die Wohnung des Chefs im 1. Stock des Haupthauses gebeten. Ein geräumiges Wohnzimmer mit ausreichend Sitzmöglichkeiten nahm uns auf. Sekt und Saft wurden gereicht, und dann erzählte Michael uns seine Glücksgeschichte, die eines der ganz wenigen Millionäre, die mit ihrem Vermögen eine großartige Idee, eine Herzensangelegenheit und ein Vorbild in unserer so stark materialistisch geprägten Zeit verwirklichen. Das Gut Aiderbichl soll nicht nur Gnadenhof für von Menschen falsch behandelte Tiere sein, sondern auch Mahnmal und Anstoß zum Nachdenken über unsere Beziehung zum Tier, aber auch wie wir miteinander umgehen sollten, wie wir zu den Schwächeren, den Kindern, den Alten und den Behinderten unter uns stehen. Wir erfuhren, daß 60 % der Antibiotika-Produktion weltweit für die chemische Mast von Schlachttieren verwendet werden und nur 40 % den Menschen zugute kommen im Kampf gegen Krankheiten. Erschütternd waren Berichte über die Entsorgung von Tieren, ihre Lebensverkürzung, wenn sie nicht mehr voll von Nutzen sind, die Grausamkeit gegen wehrlose Tiere, nur aus schnöder Profitgier. Michael Aufhauser versteht es meisterhaft, nicht nur die Besucher, sondern auch die Medien, vor allem das Fernsehen zum Wohl und Verständnis seiner außergewöhnlichen Ideen einzuspannen und so das Glück seiner geretteten Tiere zu sichern.

Am 27. Juni ist im WDR-Fernsehen eine Wiederholung der Fernsehaufzeichnung geplant, die am 27. Mai in Bayern 3 ausgestrahlt werden soll. Ja, ohne das notwendige Geld für diese Aktion wäre sie nicht aufrecht zu erhalten. 4 1/2 Millionen Euro pro Jahr kostet dieser Gnadenhof, 11.000,- Euro pro Tag.- Michael Aufhauser gibt aus seinem Privatvermögen jährlich eine Million her, eine von ihm gegründete Stiftung und mehrere Sponsoren und prominente Paten helfen ihm, auch noch weitere solcher Tierparadiese zu gründen.

Um seiner großen Tierliebe besonderen Nachdruck zu geben, brachten seine Assistenten zunächst seinen Lieblingshund Snupi herein und gaben ihn zum Streicheln an uns weiter. Zwei Jahre lang war dieser Hund mißhandelt worden, und es dauerte ein ganzes Jahr, bis er seine Angst vor den bösen Menschen hier endlich überwinden konnte und die Menschen als seine Freunde erkannte. Schon mehrmals hatten wir das, und nun kam er, das lautstarke Krähen eines Hahns von außen vernommen, zu uns und ließ sich streicheln, wanderte von Schoß zu Schoß, von Arm zu Arm,, landete schließlich auf dem großen Tisch und genoß jede weitere Streicheleinheit, die er kriegen konnte. Auch dieser Angehörige einer aussterbenden Rasse, vermutlich der Rodeländer, hatte das glänzende braune Federklleid, wie ich es von ähnlichen Hühnern und Hähnen meiner Mutter kenne, dann intakt, wenn das Tier artgerecht, d.h. nicht in einem zu engen Käfig eingesperrt, sondern in frischer Luft herumlaufen und sandbaden darf. Dieser Hahn heißt „Mücke“, und wir waren alle begeistert, als unser VereinsVorsitzender gegen Ende des Treffens mit Michael Aufhauser verkündete, daß unser Blinden- und Sehbehindertenverein die Patenschaft für Mücke übernehmen will. Dann wurden noch zwei Wiesel hereingetragen und an uns weitergereicht. Anscheinend hatten diese beiden, schon im Sommerkleid, noch Angst, es gab leichte Kratzer auf den Händen, die jedoch gleich mit einem Pflaster versorgt wurden. Und dann kamen die Geschenke: ein großer Stockschirm mit der Aufschrift „Aiderbichl“ , für jeden ein Stofftier mit Stimme, die per Knopfdruck hörbar gemacht werden konnte, eine Tüte mit einer hübschen Tasse, die mit Fotos des bebauten Geländes geschmückt ist, ein Schlüsselring an einem rosa Schweinchen und – ähnlich wie es den Olympioniden in Peking vorgeschlagen wird – ein Plastikarmband mit der Aufschrift „Leben lieben. Aiderbichl“ sowie ein gelber Gurt mit derselben Aufschrift. Obendrein bekamen wir noch einen bildschönen Wandkalender. Diese Form der Werbung kann ich voll akzeptieren, denn sie ist für das Wohl der Tiere dringend notwendig. Voller neuer positiver Eindrücke und reich beschenkt verließen wir das Haus, das natürlich auch ein Restaurant samt Souvenir laden beherbergt, und beobachteten weiter die glücklichen Vierbeiner und gefiederten Zweibeiner des Gutes, bis es Zeit war, den Weg hinunter zu gehen, vorbei an einem sicher und geräumig eingezäunten Fuchs, zu unserem Bus, der uns wieder zum Hotel zurückbrachte

Abend und Nacht waren verregnet, und am nächsten Tag hielt dieser Dauerregen noch an. Ein Picknick am Bus fand entweder unter Schirmen oder im Bus statt, nachdem wir in St. Gielgen am Wolfgangsee gehalten hatten. Danach ging es weiter nach Bad Ischl, wo wir die Kaiservilla, etwas abgelegen, besuchten. Hier hatte die letzte österreichische Kaiserin Elisabeth, genannt Sisi, sich mit ihren Gästen erlesenen Tafelfreuden hingegeben.

Auch der nächste Tag war total verregnet, weshalb einige Mitreisende, auch ich, im Hotel blieben. Das Ausflugsziel der Gruppe war Bad Reichenhall in Bayern, und dort schien zeitweise die Sonne. Am letzten Ausflugstag, dem Donnerstag, hatte sich das Wetter zum Besseren verändert. Wir fuhren wieder in Richtung Salzburg und dann weiter über die Grenze, die kaum noch wahrnehmbar ist, nach Berchtesgaden. In Schönau am Königssee, einem der schönsten Seen Süddeutschlands, verließen wir den Bus und eilten der Schiffsanlegestelle entgegen. In edlem Smaragdgrün funkelnd, eingebettet inmitten gewaltiger Felswände, so präsentiert sich der tiefste See Bayerns (190 m) auf einer Länge von 8 km und einer Höchstbreite von bis zu 1250 m, der seit 100 Jahren von Elektrobooten im Halbstundentakt befahren wird. Berühmt ist das Echo der Trompetenklänge, die der Bootsführer erzeugt. Die kleine Halbinsel St. Bartholomä, deren Wallfahrtskirche mit ihren roten Zwiebeltürmen schon von weitem zu sehen ist, bietet frisch geräucherte Forellen oder Saiblinge in einer kleinen Gasthütte oder eine größere Palette an Köstlichkeiten im an die Kirche angrenzenden Historischen Gasthof. Es war angenehm, hier in der Sonne zu sitzen und sich zu stärken. Nach der Rückfahrt per Boot strebten wir wieder zu unserem Bus, der uns dann in die Stadt Berchtesgaden brachte. Wer noch nicht an den zahlreichen Verkaufsständen am Seeufer fündig geworden war, fand hier im Stadtzentrum (Nützliches oder Mitbringsel für die Lieben daheim.

Wir hatten gut gewählt, die letzte Fahrt auf den Donnerstag zu verlegen, denn der Freitag wurde vom Wetter her ziemlich ungemütlich mit Blitz und Donner und starkem Regen. Nach sieben Tagen Fahrt muß der Bus einen Tag stehen bleiben, wie es eine knapp einjährige Vorschrift will.

Am Samstag, dem 26. April, war unser letztes Frühstück auf halb sieben angesetzt, damit alle um halb acht mit Gepäck den Reisebus besteigen konnten. Über 700 km trennten uns von unserem Zuhause in Bonn und Siegburg. Die Fahrt verlief ohne Behinderungen. Im Rheinland empfing uns eine seit fast einer Woche nicht mehr erlebte Wärme, die uns zu schaffen machte, kamen wir doch aus dem südlichen Nachwinter. Schon um 18 Uhr stiegen die Siegburger und rechtsrheinischen Teilnehmer aus, und nach einer guten Viertelstunde waren auch die Linksrheinischen dran. Eine erlebnisreiche Busreise ging zu Ende. Die dabei gesammelten Eindrücke werden uns wohl noch lange im Gedächtnis haften bleiben. Dank allen Initiatoren und Organisatoren dieser Reise

(c) Anneliese Useldinger / Bonn

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BLAutor – Arbeitskreis blinder und sehbehinderter Autoren – www.blautor.de

Veröffentlicht von Christiane Quenel I. A. Blautor

Mein Name ist Christiane Quenel. Als Autorin bin ich die Paula Grimm. Als Sprecherin des Arbeitskreises blinder und sehbehinderter Autorinnen und Autoren (BLautor) bin ich seit Ende 2021 auch verantwortlich für die Webseite von BLautor.