Zufall

Zufall

Anneliese Useldinger

“Welch ein Zufall!” oder “Der Zufall wollte es, dass”, so beginnen viele Leute eine Geschichte aus ihrem oder dem Leben anderer, eine aufregende Beo-bachtung oder was sie sonst anderen gern erzählen möchten. Da fällt etwas zu, es kommt etwas auf einen zu – plötzlich, unerwartet oder gar wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Später stellt sich dann manchmal heraus, dass es gar kein Zufall war, dass da jemand nachgeholfen hat, um anderen Schaden zuzufügen, oft sind vermeintliche Autounfälle geplant und genau ge-zielt, dabei sollen sie wie Zufälle aussehen. Jedoch spielt manchmal auch eine positive Absicht mit: da versteckt sich ein Wohltäter, und der Betroffene soll an einen Zufall glauben. Dem gegenüber passiert es nicht selten, daß so ein Zu-fall Rätsel aufgibt, Staunen, Verwunderung, Freude und Hoffnung oder gar Angst, Entsetzen oder noch Schlimmeres auslöst. Die meisten Erfindungen beruhen auf dem Prinzip Zufall.

In einem schlauen Buch habe ich gelesen, daß wir diese Pseudoerklärung Zu-fall gern dann benutzen, wenn wir nicht wissen, warum etwas so ist, wie es ist. Zufall heißt für uns, dass uns oder wem auch immer unabsichtlich etwas zu-fällt. Es steckt kein Plan und kein Gesetz dahinter.

Aber hier korrigieren uns die Weisen. Sie sagen: All dies fällt uns aufgrund ei-nes ewigen, unabänderlichen Gesetzes zu. Dabei fallen mir die Gedanken der beiden schweizerischen Reformatoren Zwingli und Calwin ein, die auch glaub-ten, alles sei dem Menschen vorher bestimmt, wobei dieser Fatalismus dem freien Willen des Menschen nur wenig Spielraum läßt. Also darf es auch kei-nen Zufall geben, sei er noch so rätselhaft und unvorhersehbar.

Ob ich einen alten Freund zufällig in der Stadt treffe, ob der Prüfer beim Ex-amen zufällig die Frage stellt, auf die ich vorbereitet bin, ob mir zufällig ein Ziegel auf den Kopf fällt, oder ob mich ein streunender Hund beißt, oder ob ich ein Verkehrsmittel noch erwische, das verspätet ankommt, obwohl ich nicht rechtzeitig an der Haltstelle war – das alles muß so sein, obschon wir anneh-men können, dass es genau so gut anders hätte sein können. Die Weisen meinen, es war so und nicht anders für uns bestimmt, denn auch die zufälligen Ereignisse seien uns geschickt – unser Schicksal!

Diese Aussage der Weisen kann uns leicht schockieren, wenn wir bedenken, wofür heute der Zufall alles herhalten muß. Neuerdings sprechen die Börsianer sogar von dem „gezähmten“ Zufall. Dabei handelt es sich höchstwahrscheinlich um irgendwelche Tricks, um die Profite anzuheben. So wird auch der Zufall mißbraucht und sinnentstellt. Und manch-mal ist es sogar ratsam, eine zunächst zweifelhafte Sache einfach dem Zufall zu überlassen.

Wohl niemand kann den bunt schillernden Zufall-Variationen entrinnen, dabei scheint es mir sehr wichtig zu erkennen, ob so ein Zufall echt ist oder nicht und ob er unsere Reaktion erfordert. Ein Bekannter hatte per Zufall eine Welt-reise gewonnen, er hätte als Blinder sogar eine sehende Freundin mitnehmen können, doch er ließ diesen schönen Zufall einfach verfallen.

Die Entstehung des Universums, die Entstehung des Lebens und unse-rer eigenen Existenz, Naturkatastrophen, Vulkanausbrüche, Brände, E-rosionen und vieles mehr – sind das alles Zufälle? Und wie gehen wir in unserem Leben mit diesem Zufall um, mag er vorherbestimmt oder ganz einfach unerwartet auf uns zukommen? Ich möchte mich nicht zu sehr in die eine oder andere Richtung der Zufallursache verirren, besser gelas-sen bleiben und versuchen, das Beste daraus zu machen.

(c) Anneliese Useldinger / Bonn

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BLAutor – Arbeitskreis blinder und sehbehinderter Autoren – www.blautor.de

Veröffentlicht von Christiane Quenel I. A. Blautor

Mein Name ist Christiane Quenel. Als Autorin bin ich die Paula Grimm. Als Sprecherin des Arbeitskreises blinder und sehbehinderter Autorinnen und Autoren (BLautor) bin ich seit Ende 2021 auch verantwortlich für die Webseite von BLautor.