Die Entwicklung der Blindenselbsthilfe in Hamburg von den Anfängen bis heute (Leseprobe)

Die Entwicklung der Blindenselbsthilfe in Hamburg von den Anfängen bis heute

(LESEPROBE)

Susanne und Rolf Zacharias

Die Blinden galten bis Ende des 18. Jahrhunderts allgemein als bildungs- und erwerbsunfähig. Man kannte eigentlich keinerlei Mittel, ihre geistigen und physischen Kräfte zweckmäßig zu fördern. Sie fristeten ihr Dasein zumeist als Bettler, Hausierer oder Straßensänger…

1831

Die “Hamburger Blindenanstalt von 1830” hatte sich zur Aufgabe gestellt, eine Lehranstalt für Blinde zu errichten. Der Musiklehrer Prof. Dr. Jülich sowie der Hauptpastor Dr. Wolff an der Hauptkirche St. Katharinen begannen im Juli 1831 mit der Beschulung von 9 Kindern im Alter zwischen 7 und 14 Jahren…

Langsam, ganz langsam, sehr langsam, stimmte die Blindenlehrerschaft, und zwar durchaus nicht geschlossen und nicht von vornherein, der Einführung des 6-Punkte-Alphabets zu. Es klingt unglaublich, entspricht aber leider der Wahrheit, dass Einwände erhoben wurden, die völlig abwegig, völlig unsinnig und bar jeden Fortschritts waren, wie beispielsweise: „Die neue Schrift könnte geeignet sein, auch nichtreligiöse Bücher zu drucken, und vor allen Dingen der Braille‘sche Druck könnte sich sogar als probates Mittel erweisen, der sexuellen Aufklärung der Blinden zu dienen“. Erst 1879 beschloss der Blindenlehrerkongress in Berlin die Einführung der Brailleschrift an den deutschen Blindenschulen…

1872 kam es in Hamburg beispielhaft für ganz Deutschland zur Gründung der ersten Blindengenossenschaft. Bedeutsam und zukunftsweisend an der Blindengenossenschaft von 1872 war, dass blinde Menschen ihre beruflichen und allgemein menschlichen Interessen erstmalig in organisierter Form selbst vertraten…

1890

Mit der Braille-Blindenschrift, insbesondere der Kurzschrift, hatten die Blinden endlich das Mittel in der Hand, auch überregionalen Gedankenaustausch zu pflegen…

Seit 1886 sammelte der blinde Organist Johannes Nathan (7.2.1857 – 28.3.1921) (Kreuzkirche zu Barmbeck) die Anschriften erwachsener, im Leben stehender Blinder im deutschsprachigen Raum (Deutschland, Österreich / Ungarn und der Schweiz). Im November 1890 versandte er einen Aufruf an etwa 40 Blinde, in dem er zur Bildung eines Vereins der Blinden deutscher Zunge aufforderte,…

1909

1909 kam es zur Gründung des heutigen Blinden- und Sehbehindertenvereins, des ersten, nur von Blinden getragenen Selbsthilfevereins in unserer Stadt…

1921

Der RBV und die angeschlossenen Ortsvereine sahen eine ihrer Hauptaufgaben in der Organisierung der Erholungsfürsorge. … Anfang 1921 erwarb der RBV das Hotel “Marienlust” am Timmendorfer Strand und gab ihm den Namen “Deutsches Haus”, das heutige “Aura-Hotel Alfons-Gottwald”, mit 21 Zimmern für 40 Gäste…

1925

Die materielle Not der Blinden war nach dem Ende des 1. Weltkrieges be­sonders groß. Ihre Arbeits- und Berufsmöglichkeiten waren außerordentlich gering. So schlossen sich die Handwerker im “Verein der Blinden von Hamburg und Umgebung e. V.” schon 1919 zu Fachgruppen zusammen… Zu den “Hamburger Blinden-Anstalten von 1830” unterhielt der Verein nur lockere Beziehungen; denn die Bestrebungen des Blindenvereins wurden in der Anstalt keineswegs verwirklicht. Um blinden Handwerkern außerhalb der Anstalt bessere Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten zu bieten, lud der “Verein der Blinden von Hamburg und Umgebung e. V.” Ende 1925 zwecks Gründung der “Blindenerwerbsgenossenschaft Hansa eGmbH” zu einer Versammlung ein…

1933-1945

Der politische Umschwung 1933 hob die demokratische Ordnung auf und davon wurde auch die Struktur des “Vereins der Blinden von Hamburg und Umgebung e v.” betroffen. Es galt nunmehr das Führer­prinzip und anstelle der Selbstbestimmung und der persönlichen Auseinandersetzung trat das Be­fehls- und Anordnungssystem. Es waren Bestrebungen im Gange, die Blindenorganisationen aufzulösen und die Interessen und Belange ihrer Mitglieder durch die Nationalsozialisten wahrnehmen zu lassen…

1952

Da sich bei weitem nicht jeder Blinde eine Urlaubsreise erlauben konnte, baute der “Blindenverein für Hamburg und Umgebung e. V.” ein eigenes kleines Erholungsheim am Timmendorfer Strand in der Kastanienallee…

CHRONOLOGIE

1227 – Das Heiliggeisthospital am Rödingsmarkt nimmt sich alter und gebrechlicher Blinder an.

1806 – 13. Oktober Gründung der ersten Blindenschule in Deutschland in Berlin Mitte, Gipsstraße 11, durch Johann August Zeune…

1862 – 10. Mai Gründung einer Blindenanstalt in Kiel für das Herzogtum Holstein.

1866 – Erscheinen der ersten Blindenschriftbücher in Deutschland (Johannes-Evangelium, Märchen)

1897 – Gründung des Punktschriftdruckverlages von Franz Walther Vogel in der Hufnerstrasse 122 – 124 in Hamburg 33. Es war der erste Verlag, der sich von vorn herein ausschließlich der Kurzschrift zuwandte. Er veröffentlichte überwiegend Noten und trug somit zur Bildung der blinden Musiker bei.

1900 – Der selbst blinde Dr. Sommer richtet in Bergedorf in der Bergstraße (heute August-Bebel-Straße) ein Pensionat für Blinde der bessergestellten Stände ein, das bis ca. 1915 bestand.

1905 – 19. März Gründung der Centralbibliothek für Blinde Hamburg…

1912 – 22. bis 25. Juli: Zweiter Blindentag in Braunschweig. Auf Initiative von Franz Walter Vogel aus Hamburg Gründung des Reichsdeutschen Blindenverbandes (RBV) (heute Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e. V)…

1926 – Einführung der gelben Armbinde mit drei schwarzen Punkten als Verkehrsschutzzeichen (sowohl für Taubstumme als auch für Blinde).

1943 – 28. Juli Das Haus der “Blindengenossenschaft Hansa” in der Schröderstraße 4, in dem auch der „Blindenverein Gau Hamburg e. V.” seine Geschäftsstelle unterhielt, fällt den Bomben des 2. Weltkrieges zum Opfer.

1949 – In der Schule für Blinde und Sehschwache Hamburg werden versuchsweise Schüler zu Stenotypisten ausgebildet.

1950 – Aus einer Villenruine in der Wagnerstraße 42 wird das Vereinshaus des „Blindenvereins für Hamburg und Umgebung e. V.“ aufgebaut, in der auch eine Geschäftsstelle eingerichtet wurde.

1953 – Auf dem Eckgrundstück Minenstraße / Stiftstraße in Hamburg St. Georg entstehen neue Gebäude der “Blindenanstalten von 1830” mit Wohnheim mit 80 abgeschlossenen Wohnungen,…

1958 – 27. Juni Gründung der “Norddeutschen Hörbücherei” (NBH) unter Beteiligung der vier norddeutschen Küstenländer Hamburg, Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein.

1965 – Die Blinden- und Sehbehindertenschule in Hamburg erhält einen Schulkindergarten für schulpflichtige, aber noch nicht schulreife Kinder…

1969 – 17. Oktober Einweihung des Kulturzentrums des BVH in Lurup.

1970 – Mit dem Optacon steht das erste Gerät, das Blinden das Lesen von gedruckter Schrift ermöglicht, zur Verfügung.

1979 – 1. Oktober Eröffnung des Instituts für Rehabilitation Integration Sehgeschädigter (IRIS) durch das Ehepaar Pamela und Dennis Corry in Hamburg in der Sierichstrasse 56.

1985 – 3. August Eröffnung des umgebauten “Alfons-Gottwald-Hauses”.

1989 – 4. Januar Einweihung des Louis-Braille-Hauses – Zentrum der Blindenselbsthilfe des BVH…

2009 – 4. Januar Anlässlich des 200. Geburtstages von Louis Braille wird der Bahnhofsvorplatz vor der U-Bahnstation “Hamburger Strasse” nach ihm benannt.

(c) Susanne und Rolf Zacharias / Hamburg

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BLAutor – Arbeitskreis blinder und sehbehinderter Autoren – www.blautor.de

Veröffentlicht von Christiane Quenel I. A. Blautor

Mein Name ist Christiane Quenel. Als Autorin bin ich die Paula Grimm. Als Sprecherin des Arbeitskreises blinder und sehbehinderter Autorinnen und Autoren (BLautor) bin ich seit Ende 2021 auch verantwortlich für die Webseite von BLautor.