Türchen 20, 2024
Ein außergewöhnlicher Weihnachtsbaum
von Monika Lorenz
Vor der offenen Tür des hölzernen Hexenhauses stand die Hexe mit ihrem schwarzen Kater auf der Schulter und winkte Hänsel und Gretel, näher zu kommen. Die weißen, runden Lebkuchen glänzten auf dem mit Puderzucker bestreuten Dach des Hexenhauses. Von den Dachkanten hingen spitze lange Eiszapfen herunter. Süße Sterne aus Schokolade und buntem Gelee verzierten die Wände. Der Garten rund um das Hexenhaus hatte Beete aus kleinen Schokotalern mit farbigen Streuseln, blütenförmigen Keksen und länglichen Lakritzen. Alles sah bunt und einladend aus. Mutter hatte sich viel Mühe gegeben und wollte mit diesem bunten und von innen beleuchtetem Hexenhaus ihre Enkelkinder am Weihnachtsabend überraschen. Sie malte sich schon die staunenden und strahlenden Augen der beiden Kleinen aus. Den Käsekuchen, den es immer am Weihnachtsnachmittag gab, hatte sie gerade aus dem Backofen genommen und zum Abkühlen auf den langen Küchentisch gestellt. Die Bratäpfel für den Abend nach der Bescherung lagen gut gefüllt in einer Form und warteten auf ihren Einsatz. Mutter schaute zufrieden in der Küche umher. Auch das Wohnzimmer war geputzt und nur der Tannenbaum musste noch geschmückt werden. Doch ein Tannenbaum war noch gar nicht zu sehen. Das war das große Problem! Seit zwei Wochen konnten Tannenbäume erstanden werden. Immer wieder hatte Mutter es dem Vater gesagt. Doch der hatte nur andere Dinge im Kopf und nie Zeit, sich um den Tannenbaumkauf zu kümmern.
„Morgen hole ich ganz bestimmt den Baum.“ So hieß es immer wieder und am nächsten Tag wurde der Gang zum Tannenbaumhändler wieder verschoben. So verging Tag für Tag. Tausend andere Dinge waren viel wichtiger als der Kauf des Tannenbaumes. Dabei kam der 24. Dezember immer näher. Mit Engelszungen redete Mutter auf ihren Mann ein. Richtig wütend hatte sie geschimpft, dass die schönsten Tannenbäume immer am Anfang verkauft würden und am Ende nur die schiefen und krummen übrigblieben. Es hatte alles nichts genutzt. So war der Tag des Heiligen Abends herangekommen. Mutter hatte ihre Arbeiten erledigt. Nur noch einmal hatte sie entnervt gesagt:
„Dann haben wir in diesem Jahr wohl keinen Weihnachtsbaum. Die Enkelkinder werden enttäuscht und traurig sein. Gottseidank habe ich wenigstens das schöne Hexenhaus, um ihnen eine Freude zu machen“. Sie konnte nicht verhindern, dass ihr ein paar Tränen dabei über die Wange liefen. Brummelnd stand der Vater auf, zog seine dicken Stiefel und seinen warmen Mantel an und verließ kopfschüttelnd die Wohnung. Nach einigen Stunden kam er zurück. Tatsächlich hatte er noch einen Tannenbaum erstanden. Zuerst freute sich Mutter. Doch als der Baum von seinem Netz befreit war und die Zweige sich ausbreiten konnten, schrie Mutter auf.
„Was ist denn das für ein hässlicher Baum. Nicht nur, dass er krumm und schief ist, seine Zweige sind so weit voneinander entfernt, da kommen unsere bunten Glaskugeln überhaupt nicht zur Geltung. Sie würden an den Zweigen aussehen wie kleine Glasmurmeln. Nein, diesen Baum können wir unmöglich aufstellen und schmücken, damit blamieren wir uns ja vollkommen.“ Vater schnaufte:
„Er ist doch groß und hat grüne Nadeln, was willst du denn sonst noch?“ Mit tränenerstickter Stimme sagte Mutter nur:
„Der kommt mir nicht ins Wohnzimmer. Sieh zu, wo du noch einen anderen herbekommst, sonst fällt Weihnachten in diesem Jahr aus.“ Sprachs und lief wütend in die Küche. Nun stand Vater ratlos da. Er wusste, einen besseren Baum würde er nicht mehr bekommen. Inzwischen war es halb drei Uhr. Die Verkaufsstellen der Tannenbäume waren bestimmt schon geschlossen und die Gärtnerei auch. Schließlich wollten heute alle Weihnachten feiern. Er kratzte sich am Kopf und überlegte. Doch ihm fiel einfach keine Lösung ein. Hätte er doch schon in der vergangenen Woche den dummen Baum gekauft. Er hatte es einfach über den vielen Dingen, die er erledigen musste, vergessen. So ein Weihnachts-Fan wie seine Frau war er sowieso nicht. Nur für die Kinder und Enkel machte er das alles mit. Die Stimmung war am Boden und guter Rat teuer. Er versuchte durch einige Telefonanrufe noch etwas zu erreichen. Doch auch da hatte er kein Glück.
In der Zwischenzeit war Ulrike, die jüngere Tochter, eingetroffen. Sie arbeitete als Tiefpflegerin in der „Eselsmühle“. Das war ein Bio-Bauernhof mit eigener Bäckerei und Gaststube in einem kleinen Tal in der Nähe ihres Wohnortes. Der Hof hatte seinen Namen zu Recht, denn auf zu dem Hof gehörten einige Esel. Im Sommer lebten sie zur Freude der großen und kleinen Gäste auf der Weide neben dem großen Biergarten. Alle Kinder liebten die Esel, besonders wenn sich Nachwuchs eingestellt hatte. Die kleinen Esel waren aber auch allerliebst. Nun im Winter standen die Esel im warmen Stall. Jede Woche wurde in der Bäckerei aus dem eigenen Getreide gutes Brot gebacken und die Kunden kamen von nah und fern, um dieses gute Brot zu kaufen. Ulrike wurde sogleich von Vater in das Wohnzimmer gezogen und mit Fragen überhäuft, ob sie eine Möglichkeit sähe, wie der Weihnachtsabend gerettet werden könne. Ob es vielleicht in der „Eselsmühle“ noch Tannenbäume zu kaufen gäbe?
„Nein, Tannenbäume hätten sie nicht mehr,“ meinte Ulrike nachdenklich. Sie überlegte ein paar Minuten, dann zog ein Lächeln über ihr Gesicht.
„Was, hast du eine gute Idee?“ fragte der Vater hoffnungsvoll.
„Ja, mir ist gerade eine Super-Idee gekommen. Lass mich nur machen.“
Schnell zog Ulrike ihre warme Jacke über, nahm Schlüssel und Fahrradhelm und rannte die Stufen hinunter zu ihrem Fahrrad, das noch vor der Haustür stand. Mit Windeseile fuhr sie den vor kurzem erst gekommenen Weg zurück zur „Eselsmühle“. Ihr Fahrrad an den Zaun gelegt, die Seitentür zur Backstube aufgerissen und nach Frauke, der Bäckerin gerufen, das war eins.
„Wo brennts denn?“ rief die gutmütige Frauke, die gerade die Backstube ausfegte.
„Hast du noch von den Lebkuchen, die wir gestern frisch gebacken hatten?“ rief Ulrike ganz außer Atem.
„Willst du noch welche verkaufen?“ unkte Frauke lächelnd.
„Nein, nicht verkaufen ich brauche mindestens zehn Stück für uns selbst.“ Ulrike schaute sich in der Backstube um.
„Da hast du aber Glück, es sind gerade noch zwölf Stück von den großen da.“
„Ich nehme sie alle,“ frohlockte Ulrike.
„Ja, wofür brauchst du denn so viele von den großen Lebkuchen?“ staunte Frauke.
„Das verrate ich dir nach den Feiertagen. Ich muss mich beeilen, sonst gibt es bei uns kein Weihnachten.“ Schon war Ulrike wieder auf ihr Fahrrad gesprungen. Die Tüte mit den Lebkuchen warf sie vorn in den Korb und ab ging die rasante Fahrt nachhause. In der Wohnung angekommen, wartete Vater schon sehnsüchtig auf seine Tochter.
„Hast du etwas erreicht, das unseren Weihnachtsabend retten kann?“ fragte er ganz kleinlaut.
„Ihr werdet staunen, aber nun lass mich allein im Wohnzimmer werkeln. Ich gebe Bescheid, wenn alles fertig ist und ihr zur Bescherung hereinkommen könnt.“ Ulrike schmunzelte in sich hinein.
Der Nachmittag war in den Abend übergegangen. Die gesamte Familie saß etwas bedrückt in der gemütlichen Küche beisammen. Der Käsekuchen war bereits aufgegessen. Die Enkelkinder rutschten unruhig auf ihren Stühlen herum.
„Wann kommt denn endlich das Christkind?“ fragten sie alle halbe Stunde.
„Bald.“ War die immer gleiche Antwort der Großen. Draußen war es inzwischen dunkel geworden. Die Glocken der nahen Martinskirche läuteten bereits die Vesper ein, da hatten die Erwachsenen Erbarmen mit den kleinen unruhigen Geistern. Der Vater ging zuerst in das Weihnachtszimmer, schloss aber sofort die Tür hinter sich, bevor er das Licht anschaltete. Dann riss er die Augen auf und ein Lächeln stahl sich in sein Gesicht. Die Kerzen am Weihnachtsbaum waren schon angezündet. Auch aus den Fenstern des Hexenhauses schimmerte Licht nach außen.
„Die werden Augen machen,“ schmunzelte der Vater. „Ulrike, du bist doch ein Schatz.“
Das silberne Glöckchen läutete, die Wohnzimmertür öffnete sich, die Enkelkinder stürmten herein. Die Erwachsenen folgten ihnen langsam. Mit einem Mal standen alle still. Die Augen riesengroß, die Münder offen. Sie staunten. Vor ihnen stand ein ganz besonderer Weihnachtsbaum. Zwischen den weit auseinanderklaffenden Zweigen hingen „ESEL“ aus Lebkuchen. Jeder mit einer roten Schleife um den Hals und langen Ohren. Sie strahlten mit dem Kerzenschein um die Wette. Ihr braunes „Fell“ glänzte und der hässliche Baum sah auf einmal wunderschön aus. Die Kinderaugen leuchteten.
„Das sind ja richtige Esel“. Jubelte die Kleinste. Selbst Mutter blickte staunend auf das so verwandelte Bäumchen. Doch keiner sah das so liebevoll geschmückte Hexenhaus. Die Esel am Weihnachtsbaum hatten allem die Schau gestohlen. Sie sahen aber auch so reizend aus, wie sie zwischen den grünen Zweigen hingen, groß und braun und zum Anbeißen lecker. Dass Esel eigentlich graues Fell hatten, störte keinen.
Jeder, der in der Weihnachtszeit zu ihnen zu Besuch kam, staunte und wunderte sich. So einen „Esel-Weihnachtsbaum“ hatte noch niemand gesehen. Ulrike hatte wirklich eine sensationelle Idee gehabt. Das Schiefe und Hässliche des Baumes war überhaupt nicht mehr sichtbar. Die süßen Esel hatten alles in den Schatten gestellt.
Der Blindnerd-Adventskalender
Unser blindes Mitglied Gerhard ist blinder Hobbyastronom und das einzige blinde Mitglied der Deutschen Astronomischen Gesellschaft. Seit sieben Jahren führt er den Blog Blindnerd.de. In diesem Jahr widmet sich sein Adventskalender ganz den Wundern des Kosmos.
Der Blautor-Adventskalender und der Blindnerd-Adventskalender sind überkreuz verlinkt, so dass man von jedem aus zu den jeweiligen Türchen des anderen springen kann.
Mit
diesem Link gelangen Sie und ihr auf diesen etwas außergewöhnlichen Weihnachtskalender.
Geschenkideen von BLAutor
Drei Anthologien hat unser Arbeitskreis bis jetzt gemeinsam verfasst, und an zwei weiteren haben mehrere unserer Mitglieder mitgewirkt. diese sollten in keinem Bücherregal fehlen.
- Blind Verliebt
ist die neueste im September 2024 erschienene Anthologie des Schreibzirkels BLAutor.
31 AutorInnen mit Sehbeeinträchtigung beleuchten das Thema auf ganz unterschiedliche Weise. Lassen Sie sich in eine Welt der besonderen Art entführen. - Abenteuerliche Anekdoten blind erlebt
ist der Titel unserer zweiten Anthologie, die im Oktober 2023 im Edition Paashaas Verlag als Taschenbuch und iBook auf dem Buchmarkt erschienen ist.
Dank einer Buch-Patenschaft, die eines unserer Mitglieder übernommen hat, ist auch diese Anthologie mittlerweile aufgelesen worden und somit in den Hörbüchereien für blinde Menschen ausleihbar. - „Farbenfrohe Dunkelheit“
ist der Titel unserer mittlerweile zwei mal preisgekrönten ersten BLAutor-Anthologie, die 2022 im Edition Paashaas Verlag als Taschenbuch und iBook erschienen ist und als Hörbuch produziert wurde und bei den Hörbüchereien für blinde Menschen ausgeliehen werden kann. - Anthologie Weihnachtszauber, 39 einfach schöne Weihnachtsgeschichten
Es muss ja nicht gleich ein komplett eigenes Buch sein. In einer Anthologie finden sich stets mehrere Autor:innen mit ihren Geschichten zu einem Thema zusammen, um dann gemeinsam ein Buch zu füllen.
Der Pashaas-Verlag rief zur Teilnahme an dieser Weihnachts-Anthologie auf. Fünf unserer Mitglieder schafften es, ihre Geschichten dort zu veröffentlichen. - Weihnachtsmodus an, mit Autor:innen des Arbeitskreises und anderen
Und hier ist die fünfte Anthologie, die der Pashaas-Verlag mit 20 Autor:innen, fünf aus unserem Arbeitskreis, herausgegeben hat.
Es ist eine Weihnachtsanthologie der besonderen Art.
Nähere Informationen über die jeweils mitwirkenden Author:innen erfahren Sie unter
Vitae und Werke.
20.12.2023, Die Weihnachtsüberraschung
Wieder geht ein langes Jahr,
Der Heiligabend ist fast da.
Oma ist schon lang beim Stricken,
denn Sohn und Tochter kriegen Socken.
Auch backt und bastelt sie sehr gerne
Weihnachtsplätzchen, Weihnachtssterne,
verziert den Baum mit hellen Kerzen –
in ihren Augen strahlen Herzen.
Geschenke packt sie lieb noch ein ,
für die Enkel groß und klein.
Im Ofen wartet längst der Braten,
duftet Gemüse aus ihrem Garten.
Die ganze Stube ist geschmückt,
rasch wird noch der Tisch gedeckt.
Jetzt kann die Familie kommen
und braucht nur noch Platz zu nehmen.
Oh, da schellt das Telefon –
es meldet sich der Schwiegersohn
Er sagt: „Mütterlein, hör mir gut zu.
Das Fest fällt aus, genieß die Ruh’.
Hier bricht wohl jetzt die Grippe aus,
zu deinem Schutz bleiben wir zuhaus‘.
Ich hoff, dass du nicht traurig bist
und heut’ ein bisschen Fernseh siehst.
Merry Christmas – bleib gesund,
im nächsten Jahr geht’s wieder rund.“
Oma ist ganz still geblieben,
hat sich die Tränen fortgerieben.
Dekantiert ist längst der Wein –
trotzig schenkt sie allen ein,
den Gästen ,die dies Jahr nicht kommen,
die ein Virus ihr genommen.
Sie lässt die Gläser hell erklingen
und fängt auch bald schon an zu singen:
„Aus alter Zeit da komm ich her
und trink jetzt alle Gläser leer …“
Gesagt getan der Wein schmeckt gut,
Omas Wangen werden rot.
Plötzlich klopft es an der Tür,
ein Nikolaus steht dort vor ihr.
Es ist der alte Witwer Lasche,
er lacht und winkt mit einer Flasche.
Sie sieht den Nachbarn fragend an:
„Sie sind doch nicht der Weihnachtsmann?“
Er sagt: „Ja sicher, meine Gute,
ich komm nur nicht mit Sack und Rute.“
Die Oma zieht ihn froh herein
Denn heute soll doch Weihnacht sein
Geschenktipp
Zwei Bücher hat unser Arbeitskreis gemeinsam verfasst. diese sollten unter keinem Weihnachtsbaum fehlen.
- Abenteuerliche Anekdoten blind erlebt ist der Titel unserer neuen Anthologie, die im Oktober 2023 im Edition Paashaas Verlag als Taschenbuch und iBook auf dem Buchmarkt erschienen ist.
- „Farbenfrohe Dunkelheit“
ist der Titel unserer mittlerweile zwei mal preisgekrönten ersten BLAutor-Anthologie, die 2022 im Edition Paashaas Verlag als Taschenbuch und iBook erschienen ist und als Hörbuch produziert wurde und bei den Hörbüchereien für blinde Menschen ausgeliehen werden kann.
Auch auf diesem Weg bietet BLAutor seinen Mitgliedern die Möglichkeit, ein eigenes Werk auf dem Buchmarkt zu präsentieren.
Mit dem Kauf dieser beiden Anekdoten unterstützen sie die Arbeit unseres Arbeitskreises.
Und nun kommt noch ein Hinweis auf einen Adventskalender der besonderen Art:
Der Blindnerd-Adventskalender
Unser blindes Mitglied Gerhard ist blinder Hobbyastronom und das einzige blinde Mitglied der Deutschen Astronomischen Gesellschaft. Seit sieben Jahren führt er den Blog Blindnerd.de. In diesem Jahr widmet sich sein Adventskalender Frauen aus wissenschaft und Astronomie, denn Frauen sind in diesen Arbeitsfeldern bis heute unterrepräsentiert.
Der Blautor-Adventskalender und der Blindnerd-Adventskalender sind überkreuz verlinkt, so dass man von jedem aus zu den jeweiligen Türchen des anderen springen kann.
Mit
diesem Link gelangen Sie und ihr auf diesen etwas außergewöhnlichen Weihnachtskalender.