Meine lieben,
Auch heute kommt das Türchen für morgen etwas verfrüht. Ich möchte halt, dass ihr möglichst früh das Türchen schon öffnen könnt.
die Geschichte für den 18. stellt Kinderfragen zum Weihnachtsfest. Vor allem Kinderfragen liegen mir immer am Herzen. Deshalb habe ich in jedem Vortrag für Kinder einen Abschnitt, den ich „Frag, und es wird Tag“ nenne. Freuen wir uns also auf:
Im Namen des Herrn
Von Dr. Daniela Preiß
Schneeflocken rieselten herab und verloren sich in den Flammen. Mama rückte etwas näher zum Lagerfeuer hin. Zu dritt saßen wir vor unserer Hütte, um den Heiligen Abend zu feiern. Aber ich verstand das nicht so recht. Denn wo war er denn, der Gottessohn?
„Warum“, fragte ich die Eltern, „lässt er niemals etwas von sich hören, wenn wir den Tag seiner Geburt begehen? Das ist doch die Menschwerdung Gottes.“
„Ach, Miriam.“ Unwirsch stocherte mein Vater mit einem langen Stock im Feuer. Dauernd meinte er, dass ich zu viele Fragen stellte, jedoch konnte es mir nie genug sein. Ich zählte sieben Jahre und die Welt bot mir unerschöpflich Rätsel, die es aufzuklären galt.
Mama an meiner Seite wuschelte mir durchs Haar. „Du kannst Gott nicht anfassen, das stimmt. Aber wir spüren ihn, weil er unsere Herzen schlagen lässt, im Rhythmus der Zeit.“
Um ihren Hals hing eine Taschenuhr an einer Kette. Mama griff danach und hielt sie mir hin.
„So, wie sich die Zeiger drehen, schreitet unser Leben voran. Tag für Tag, Stunde um Stunde begleitet er uns auf den irdischen Wegen.“
Papa schnaufte genervt und legte Holzteile nach. In einem gelblich-roten Tanz loderte das Feuer auf.
„Manchmal“, fuhr Mama fort, „geht es bergab, aber auch wieder aufwärts. Hier unten können wir lernen, bis uns Gott an seine Seite ruft.“
Ich war mir nicht sicher, ob ich das alles verstand. Und Papa mühte sich, das Thema umzulenken. „Wie wäre es, wenn du ein bisschen auf der Maultrommel bläst und mir ein schönes Liedchen spielst?“
Ich schaute ihn an und hernach wieder zu Mama, die jetzt mit beiden Händen einen Becher umschloss. Am Nachmittag hatte sie ein würziges Gebräu angerührt. Es duftete nach Nelken, Orange und Zimt, einer Kostbarkeit aus Indien. Zugleich stieg von dem Getränk ein scharfer Geruch auf. Papa sagte, dass es deswegen nur für Erwachsene sei. Als er mich trotzdem nippen ließ, wurde mir schwindelig, aber auch unsagbar warm im Bauch. Das war wieder so ein Wunder.
Doch trank ich Schafmilch zu meinem Brot und der Forelle, die Papa über den Flammen geräuchert hatte. Täglich fuhr er mit dem Boot in die Regnitz hinaus, um zu angeln. Danach verkauften wir den Fisch oder aßen ihn selbst.
Da durchzuckte mich eine Ahnung. „Papa, hältst du dich für Gott?“
„Natürlich nicht“, erwiderte er und legte mir noch ein Stück Forelle in die Tonschüssel. Aber jetzt wollte ich das arme Tier nicht mehr verspeisen.
„Du hast die Forelle aus dem Wasser geholt. Dabei ist es doch nur Gott erlaubt, ihr Ende zu bestimmen.“
Vater starrte zu mir herüber, als hätte mich der Wahnsinn befallen. Eine Erklärung bekam ich nicht von ihm, sondern er schüttelte nur tadelnd sein Haupt.
Dafür äußerte sich Mama. „Der Herr gibt uns ein Zeichen, wenn die Fische für den Himmel bereit sind. Darauf schwimmen sie ins Netz und ihre Seele steigt zu Gott empor.“
Dies bedachte ich, während mein Vater Kienspäne und kleine Äste in der Feuerschale zusammenschob, damit sie besser Feuer fingen. Clemens und ich hatten das Holz im Herbst gesammelt. Zum Trocknen lagerte es dann in einem Schuppen, der auch Vaters Fischereiausrüstung enthielt.
Für Clemens fühlte ich, als wäre er mein Bruder. Tatsächlich war er Vaters Patensohn und verlebte den Weihnachtsabend mit der eigenen Familie. Ich vermisste ihn schmerzlich während dieser Stunden. Wie hätte er wohl auf meine Frage geantwortet?
„Miriam, Gott spricht zu uns durch die Natur. Wenn der Wind rauscht, kannst du ihn hören. Und da oben, siehst du den Stern?“
Ich legte den Kopf zurück und schaute in den dunklen Himmel hinauf. Wahrhaftig, dort leuchtete ein Nachtgestirn. Und mich durchflutete ein Glück, das stärker wärmte als Mutters Würzgetränk.
Dann fiel mir wieder ein, dass Clemens – wie sein Vater – Flößer werden wollte. Bei dieser Arbeit brachte er Kiefern und Birken zu Fall.
„Wie teilen uns Bäume mit, dass der Himmel sie erwartet?“
„Indem sie ihre Zweige fallen lassen“, erklärte mir Mama.
„Aber Blumen werden gepflückt, solange die Blüten geöffnet sind“, wandte ich ein.
„Verdirb uns nicht den Heiligen Abend“, knurrte Vater. Eine Weile schwiegen wir, nur das Prasseln des Feuers brach die Stille zwischen uns. Dann setzte drüben in der Stadt das Glockenläuten ein.
„später“, meinte Papa, „gehen wir zur Christmette. Viele Menschen finden dort den Herrn.“
„Und du?“, wollte ich erfahren.
„Ich sehe ihn als Geist im brennenden Dornbusch“, sagte mein Vater, bevor er die biblische Geschichte erzählte. Auf dem Berg Horeb war Mose der göttliche Geist erschienen. Eine Stimme, die ihn beim Namen rief, bevor sie ihm einen Auftrag erteilte: Er möge die Israeliten aus der ägyptischen Sklaverei befreien. So führte er das Volk während einer Wanderung, die 40 Jahre überdauerte, in das kanaanäische Land.
„Der Herr hat zu ihm aus dem Dornbusch gesprochen“, schloss Vater die Erzählung ab, „ohne dass Mose ihn gesehen hätte. Und genauso sprechen diese Flammen hier zu mir.“
„Was sagen sie?“
„Kannst du nicht ihr Flüstern hören?“
Ich strengte mich an. Und plötzlich begriff ich, dass Gott für jeden Menschen etwas anderes war. Mama erblickte ihn in der Vergänglichkeit, Clemens würde ihm durch die Natur begegnen und für Papa war Gott in diesen Flammen. Doch wo konnte ich ihn finden? Würde er jemals zu mir kommen?
Als hätte sie meine Gedanken gespürt, fasste Mama nach meiner Hand, um sie auf ihren Bauch zu legen. „Ist dir aufgefallen, Miriam, dass ich rundlich werde?“
„Das verdanken wir Gott und den Fischen. Sie geben uns, dass wir satt werden. Die Natur spendet Wärme und Licht.“
Mamas warmes Lachen erfüllte mein Herz und neuerlich fuhr sie mir durch die Haare. „Das stimmt, mein Schatz. Außerdem hat Gott noch ein besonderes Geschenk für dich. Wenn die Tage wieder lang sind, bekommst du ein Geschwisterchen. Hier in meinem Bauch wächst es heran.“
„Oh“, sagte ich ehrfürchtig. Ich hatte Schafe gesehen, die Lämmer gebaren oder Hühner, die von innen an der Eierschale pickten, bis sie zersprang. Ich wusste von Käthe, der Hebamme, dass sie Säuglinge aus dem Mutterleib zog.
Aber eine Frage blieb offen. „Mama, wie hat denn Gott das Kind in deine Mitte gepflanzt?“
Nachtrag
Ich danke meinem Freund Oliver Dietrich und meinem Schreibteam. Mit ihrer Kreativität und konstruktivem Feedback haben sie diese Geschichte bereichert.
Geschenktipp
Zwei Bücher hat unser Arbeitskreis gemeinsam verfasst. diese sollten unter keinem Weihnachtsbaum fehlen.
- Abenteuerliche Anekdoten blind erlebt ist der Titel unserer neuen Anthologie, die im Oktober 2023 im Edition Paashaas Verlag als Taschenbuch und iBook auf dem Buchmarkt erschienen ist.
- „Farbenfrohe Dunkelheit“
ist der Titel unserer mittlerweile zwei mal preisgekrönten ersten BLAutor-Anthologie, die 2022 im Edition Paashaas Verlag als Taschenbuch und iBook erschienen ist und als Hörbuch produziert wurde und bei den Hörbüchereien für blinde Menschen ausgeliehen werden kann.
Auch auf diesem Weg bietet BLAutor seinen Mitgliedern die Möglichkeit, ein eigenes Werk auf dem Buchmarkt zu präsentieren.
Mit dem Kauf dieser beiden Anekdoten unterstützen sie die Arbeit unseres Arbeitskreises.
Und nun kommt noch ein Hinweis auf einen Adventskalender der besonderen Art:
Der Blindnerd-Adventskalender
Unser blindes Mitglied Gerhard ist blinder Hobbyastronom und das einzige blinde Mitglied der Deutschen Astronomischen Gesellschaft. Seit sieben Jahren führt er den Blog Blindnerd.de. In diesem Jahr widmet sich sein Adventskalender Frauen aus wissenschaft und Astronomie, denn Frauen sind in diesen Arbeitsfeldern bis heute unterrepräsentiert.
Der Blautor-Adventskalender und der Blindnerd-Adventskalender sind überkreuz verlinkt, so dass man von jedem aus zu den jeweiligen Türchen des anderen springen kann.
Mit
diesem Link gelangen Sie und ihr auf diesen etwas außergewöhnlichen Weihnachtskalender.