In der Augenklinik

In der Augenklinik

Christa Groth

Wir Patientinnen der Glaukomabteilung liegen mit ge­tropften Augen zum Druckmessen auf unseren Betten. Die Stationsärztin scheint sich heute Morgen etwas ver­spätet zu haben. Das Radio läuft, und wir unterhalten uns. Dann werden aber doch wohlbekannte Schritte auf dem Flur hörbar. Ich kenne sie mit ihren Stöckelschuhen schon immer am Gang, die von mir etwas gefürchtete Stations­ärztin Frau Dr. Wild. Ihren Namen trägt sie zu Recht, denke ich, denn da bei meinen gestörten Augen das Druckmessen nicht immer auf Anhieb gelingt, ist sie zuweilen schon etwas wild geworden. Ich habe bei ihr den Eindruck, dass sie nur ihr Können als Augenärztin sieht, und wenn dann etwas nicht läuft und man widerspricht ihr, scheint es ihr gegen die Ehre zu gehen.

Dreimal täglich muss der Augendruck gemessen werden, aber gerade der Morgendruck ist ausschlaggebend. Deshalb obliegt das Messen an Morgen meistens der Stations­ärztin. Am Vormittag gibt es dann für sie viel zu tun, und wenn OP-Tag ist, muss sie Ruhe bewahren und eine sichere Hand haben. Vielleicht erwartet sie deshalb, dass das Druckmessen am Schnürchen geht und es keinen Zeitverzug gibt. Da muss ich Verständnis haben, dass sie dann auch einmal ungeduldig ist. Die Tür öffnet sich. „Guten Morgen, meine Damen – Den Daumen in die Luft“. Unter ihrem Arztkittel schaut ein hübscher grasgrüner Pullover hervor. Ihr Gesicht sehe ich, kann es aber nicht beschreiben. Auch an ihre Haarfarbe und Frisur erinnere ich mich nicht mehr und habe es vielleicht gar nicht richtig wahrgenommen, aber sie hat eine wohlklingende weibliche Stimme und eine gute Aussprache.

Der Augendruck wird nun bei allen Patientinnen nacheinander gemessen und der fiert notiert. Eigent­lich bin ich als zweite Patientin an der Reihe, aber da es bei mir so schwierig ist, komme ich immer erst als letzte dran.

„Guten Morgen, Frau Groth, wie geht es Ihnen? Ich hoffe gut: Und wirklich: heute Morgen klappt es auf Anhieb. Der Augendruck ist schön niedrig, und ich bin diesmal wie erlöst.

„Auf Wiedersehen, meine Damen“ Frau Dr. Wild verlässt mit der Schwester den Raum. Wir können endlich zum Frühstück gehen.

(c) Christa Groth / Finsterwalde

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Eine unliebsame Überraschung

Eine unliebsame Überraschung

Christa Groth

Vom Behindertenverband unternahm ich mit einer Freundin eine mehrtägige Reise nach Österreich. Leider konnten nicht alle Teilnehmer unserer Reisegruppe im Hotel untergebracht werden. Einige, so auch wir beide, mussten mit einem Außenquartier vorlieb nehmen.

Wir richteten es nun immer so ein, da wir nach dem Nachmittagsausflug erst zum Essen ins Hotel und dann später zu unserem Quartier gingen. Aber am letz­ten Tage machten wir es umgekehrt, denn es sollte zum Abschluss einen gemütlichen Abend geben, und wir wollten uns noch festlich umziehen.

Kaum hatten wir die Tür zu unserem Zimmer geöffnet, standen plötzlich zwei fremde Frauen vor uns, und wir fragten ent­geistert: „Was machen denn Sie hier in unserem Zimmer?“ „Nein, das ist unser Zimmer“ kam die Antwort“, „wir sind hier heute Nachmittag einquartiert worden.“ „Unsinn, wir haben doch unsere Sachen hier.“ „Dann schauen Sie doch einmal nach“. Und tatsächlich Schränke, Nachttische – alles war leer.

Bei der Rezeption wurde uns dann eröffnet, dass wir am Nachmittag in ein anderes Zimmer verlegt und auch unsere Sachen umgeräumt worden sind. Wir waren sprachlos, dass uns nicht einmal Bescheid gesagt worden ist und stellten uns vor, wir hätten es gemacht wie sonst. Entweder hätten wir die beiden Frauen im Schlaf überrascht oder wir hätten vor verschlossener Tür gestanden. Nachdem wir im neuen Zimmer festgestellt hatten, dass nichts von unseren Sachen fehlte, gingen wir ins Hotel und ließen uns auf diesen Schreck das Festessen gut schmecken. Wir waren unterdessen schon vermisst worden. Am nächsten Tag stellte sich heraus, dass ein anderes Zimmer geräumt werden sollte, das Hausmädchen aber die Zimmer-Nummern verwechselt hatte. Als kleine Ent­schädigung erhielt jeder von uns einen Strauß mit künstlichen Rosen.

(c) Christa Groth / Finsterwalde

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Ein Lob auf die Punktschrift

Ein Lob auf die Punktschrift

Christa Groth

Wenn Blinde wollen in ihrem Leben
sich ein hohes Ziel erstreben,
so müssen sie belesen sein
und an Büchern sich erfreu’n.

Darum ist es gut und richtig
und im Alltag immer wichtig,
dass wir unser Leben meistern
und für Bücher uns begeistern.

Louis Braille als Wegbereiter
schuf eine Schrift für blinde Leute.
Die Überwindung vieler Schranken
haben wir ihm zu verdanken.

Da wir nun können lesen, schreiben,
wird Braille für uns ein Meister bleiben.
Auch in der technistierten Zeit,
gebrauchen wir die Punktschrift heut‘.

Für Noten, Chemie und Mathematik,
in Punktschrift es auch Zeichen gibt.
Wir können selbst beim Stenografieren
noch mit den Sehenden konkurrieren.

Im Alltag und Beruf zugleich,
Punktschrift macht unser Leben reich.
Das manche Leistung wir vollbracht,
möglich hat’s diese Schrift gemacht.

Auch international ist sie,
trotz mancher Zeichen Unterschied.
Die Punktschrift ist ein wahrer Segen,
drum wollen wir sie immer pflegen.

(c) Christa Groth / Finsterwalde

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Das kann auch nur Sehgeschädigten passieren

Das kann auch nur Sehgeschädigten passieren

Christa Groth

Wieder einmal will ich meine ebenfalls sehgeschädigte Freundin in K. besuchen. In N. angekommen, muss ich mich sputen, um den Bus noch zu erreichen. Leider sind, auch zum Ver­druss von uns Sehgeschädigten, Zug und Bus zeitmäßig nicht immer gut aufeinander abgestimmt. Nach einiger Zeit höre ich, wie jemand aus der Gaststätte herauskommt, und darauf die Stimme meiner Freundin, die diesen Mann anspricht.
Sie war von mir unbemerkt dann doch erschienen, um mich abzuholen und hatte den Mann gefragt, ob der Bus schon durch sei. Ich rufe: „Hallo, ich bin hier im Buswartehäuschen.“ Der Bus war zu früh gekommen, und so hat, nur ein paar Meter von einander entfernt, einer auf den anderen gewartet.
Über diese Begebenheit lachen wir noch immer, wenn wir einmal wieder zusammen sind.

(c) Christa Groth / Finsterwalde

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Das kann auch nur Sehgeschädigten passieren

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Wenn einer eine Reise tut

Wenn einer eine Reise tut

David Röthle

Alles stimmte an diesem Tag, nur das Wetter nicht, dachte Ralf, während er mit dem Betreuer aus der Kurklinik für Blinde und Sehbehinderte aus Bad Liebenzell, am Bahnhof auf den Zug nach Pforzheim wartete.

“Oh man, ich könnte die ganze Welt umarmen! Ich hab doch glatt die Prüfung bestanden und meine Lizenz im Koffer stecken. sagte Ralf mit einem breiten Grinsen zu seinem Begleiter.

Man konnte Ralf sein Glück förmlich ansehen, er strahlte nur so vor Energie und Selbstbewusstsein. Und das war auch nur zu verständlich, so hatte er doch an diesem Vormittag seine Prüfung zum “Ganzheitlichem Gedächtnistrainer” bestanden und damit die letzte Phase der Ausbildung abgeschlossen. Eine Ausbildung, die sich immerhin über ein dreiviertel Jahr hingezogen hatte. Zwar dauerte jeder der drei Kursteile jeweils nur eine Woche, diese war dafür umso intensiver. Und so war Ralf nun überglücklich diesen Sieg errungen zu haben.

„Das mit dem Umarmen lassen wir mal lieber bleiben, ich glaube Ihnen Ihre Freude auch so. Außerdem was sollen denn die Leute von uns denken?“ erwiderte Stefan mit einem Schmunzeln. Dann wandte er seinen Blick wieder der hübschen Blondine zu, die er schon eine ganze weile beobachtete. Und als diese verstohlen in eine andere Richtung schaute, musterte er sie eingehender.

Wow, dachte er, die hat aber ein tolles Fahrgestell. Die würde ich nicht von der Bettkante schubsen. Bei diesen Gedanken kam ihm wieder ins Bewusstsein, was Ralf und die anderen Blinden doch alles verpassten.

Sabine, die hübsche Blondine, Hatte die beiden Männer ebenfalls schon eine ganze Zeit beobachtet, bis einer der beiden sie zu mustern begann. Schnell schaute sie in eine andere Richtung, sie wollte keinen Blickkontakt und schon gar nicht mit Männern wie diesen, die sie fast auszogen mit ihren blicken. Doch der andere, der Blinde Mann daneben, den fand sie schon irgendwie schnuckelig.

Gut gekleidet, recht sportliche Figur und eine tolle Ausstrahlung hatte er in ihren Augen. Er schien auch nur etwas älter als sie zu sein, höchstens ende zwanzig, dachte sie und überlegte ob sie sich im Zug zu ihm setzen sollte.

Da kam auch schon die Durchsage aus den Lautsprechern: „Die Regionalbahn: RB 22423 von Bad Liebenzell nach Pforzheim fährt in Kürze ein, bitte Vorsicht an den Gleisen“! tönte die Stimme vom Band.

Stefan wandte sich wieder Ralf zu. „So dann müssen wir also!“ sagte er und nahm den Koffer von Ralf auf. „Ja, endlich wieder nach Hause. Obwohl ich schon ein wenig traurig bin, schließlich hatte es hier auch ganz viel spaß gemacht. Aber wer weis vielleicht komm ich ja schon bald mal wieder hierher, dann allerdings für eine Fortbildung. doch jetzt heißt es erst mal erholen und ein bisschen feiern!“ erwiderte Ralf und hängte sich, während der Zug einfuhr an den Arm von Stefan.

Vorsichtig brachte Stefan seinen Schützling an die Zugtüre, half ihm ein wenig bei den Stufen und führte ihn in ein Freies Abteil gleich neben den Türen, damit der Rückweg nicht zu beschwerlich sein würde. Schnell half er noch den Koffer auf die Ablage zu heben. „Ich wünsche ihnen noch eine gute heimreise und vielleicht sehen wir uns ja mal wieder?! verabschiedete sich Stefan. „Ja, vielen Dank. Und vielen Dank auch für Ihre Hilfe.“ antwortete Ralf und setzte sich auf dem lehren Platz ans Fenster.

Sabine war den beiden mit etwas Abstand gefolgt und wartete unschlüssig im Eingangsbereich, und erst als der Zug anfuhr ging auch sie zu dem Abteil in dem der schnuckelige Blinde saß.

! Ist hier noch frei?! fragte Sabine unschuldig, wusste sie doch genau das der junge Mann der dort saß alleine reisen würde. „Na ja, ich sehe hier niemanden!“ erwiderte er ausgelassen. „Das war natürlich nur ein Spaß, tut mir leid! Gleich zum Besseren Verständnis, ich bin Blind, also wundern sie sich bitte nicht über gewisse Eigenheiten!“ fügte er hastig hinzu, schließlich konnte er nicht einschätzen ob sie den Witz sonst verstanden hätte. „Das ist kein Problem, ich hab Ihren Blindenstock und Ihren Anstecker schon bemerkt.“ antwortete sie und setzte sich Ralf gegenüber. „Ich bin übrigens Sabine, wir können gerne Du sagen“.

Junge Junge, das ist ja mal eine tolle Stimme, wenn die genauso gut aussieht wie sie sich anhört …, dachte sich Ralf und versuchte sich ein Bild von ihr zu machen, auch wenn er wusste das dies nicht der Wirklichkeit entsprechen konnte. Aber wie sollte man sich auch eine etwas raue Stimme mit einem zarten Schmelz, freundlich und offenen Tonfall, vorstellen? Mal sehen, dachte er sich, vielleicht kann ich es ja noch raus finden, interessant fand er sie jedenfalls jetzt schon.

„Oh, na klar können wir uns duzen, ist mir auch viel lieber als diese Förmliche Art!“ antwortete er und reichte ihr die Hand, „Ich bin der Ralf, freut mich dich kennen zu lernen Sabine“! “Ja, freut mich auch Ralf!” erwiderte sie. Erleichtert über seine positive Reaktion fuhr sie fort “Und wohin fährst du heute noch”? “Ich fahr nach Hause, nach München. Und wohin geht deine Reise?” erwiderte er und lehnte sich zurück.

Eigentlich wollte er im Zug noch eine kleine Zusammenfassung des Kurses schreiben, doch das konnte warten dachte er sich. Zuerst musste er mehr über diese Frau in Erfahrung bringen, schließlich bekam man nicht jeden Tag die Gelegenheit eine nette Bekanntschaft zu machen.

“Nach München musst Du? Das ist ja mal ein Zufall, ich muss in die gleiche Richtung, allerdings nur bis Augsburg!” antwortete sie erfreut. “Oh, das ist wirklich klasse, da kann ja mit dem Umsteigen nichts mehr schief gehen!” meinte Ralf lächelnd und hoffte das man seine Freude, länger mit dieser “angenehmen Stimme verbringen zu können, nicht zu sehr anmerkte.

“Apropos umsteigen?” fragte Sabine, während der Zug quietschend in den nächsten Bahnhof einfuhr, “Wie machst du das eigentlich, so ganz allein, mit dem Umsteigen? Findest du dich auf den Bahnhöfen zurecht?” fragte sie erstaunt. Jetzt wo sie darüber nachdachte konnte sie sich gar nicht vorstellen wie ein Blinder Mensch das bewerkstelligen konnte. “Ach das ist gar nicht so wild, wenn alles klappt. Ich hab für diesen Zweck bei der Bahn eine Umsteighilfe beantragt. Und so kommt jemand zum Zug, holt mich ab und bringt mich zum nächsten Gleis und bringt mich an einen freien Platz! Alleine würd ich das natürlich nicht schaffen, denn dafür müsste ich ja alle Bahnhöfe an denen ich umsteige schon einmal trainiert haben. Und das ist zu aufwendig, außer man fährt ständig die gleiche Strecke!” erklärte er. “Und das klappt”? “Ja, meist schon, aber es ist auch schon vorgekommen dass man mich versetzt hatte, was schon mal recht unangenehm werden kann!” erwiderte er und legte die Stirn in Falten. Dabei kamen ihm wieder die Momente in Erinnerung wo er mit pochendem Herzen, nervös auf die Hilfe wartete und am Ende selbst tätig zu werden und vorbeilaufende Fahrgäste um Hilfe bitten musste. ”Und was ist dann, wenn niemand kommt?” fragte Sabine neugierig. Wobei sie sich gar nicht erst vorstellen wollte wie man sich denn in so einer Situation fühlen würde. “Nun, dann muss man schnell auf Plan B umschwenken und versuchen jemanden anders um Hilfe zu fragen!” antwortete er und tat so als könnte ihn das nicht erschüttern. “Aber!” fuhr er fort, “wenn es dir nichts ausmacht könnte ich mich in solch einem Fall ja heute auch gleich an dich wenden und ich müsste mir deswegen keine Sorgen machen”! “Na ist doch klar, wenn du mir das zutraust, dann kann ich dich auch begleiten. Und die Hilfe brauchst du dann heute gar nicht!” meinte sie lapidar. “Ich hab damit kein Problem, ist ja nichts großartig dabei! Mit vereinten Kräften schaffen wir das locker!” sagte Ralf. Und da ertönte auch schon wieder eine neue Ansage aus dem Lautsprecher. “Na wer sagst denn, da können wir uns ja gleich einmal erproben, denn jetzt müssen wir raus”!

Ein wenig mulmig war es Sabine schon, als sie in den Bahnhof von Pforzheim einfuhren, doch Ralf sagte ihr genau was sie tun sollte, hängte sich bei ihr ein und bis sie sich versah waren sie auch schon wieder auf sicheren Boden und warteten auf die angeforderte Hilfe. Die Umsteighilfe war dann auch schon im Anmarsch, ganz wie bestellt, und ließ sich schnell überzeugen, dass Ralf in guten Händen war und ihre Hilfe nicht weiter gebraucht wurde. So gingen Ralf und Sabine zu ihrem Anschlussgleis und setzten sich auf einer der Bänke, denn der Zug nach Stuttgart würde erst in zwanzig Minuten eintreffen.

“Was hast du eigentlich in Bad Liebenzell gemacht?” fragte Sabine, jetzt wo sie sich schon ein bisschen kanten. “Och nichts Besonderes!” wollte Ralf schon fast seine Leistung herunterspielen, aber dann entschied er sich doch anders, “na ja, vielleicht doch etwas besonderes, zumindest für mich, denn heute hab ich die Prüfung zum ganzheitlichem Gedächtnistrainer abgeschlossen! Ich hab also von jetzt an die Lizenz zum Denken, hihi, na ja besser gesagt zum Denken lehren, oder so ähnlich, hm!” meinte er dann etwas stolzer. “He cool, gratuliere! Gedächtnistrainer, ist ja klasse, könnt ich auch mal brauchen. Aber was macht man da und wie machst du das so ganz ohne zu sehen?” erwiderte Sabine und schüttelte ihm gespielt überschwänglich die Hand.

Ralf kam nun so richtig in Fahrt, schließlich hatte er so schon erste Gelegenheit seine Freude und seinen Stolz, über die erbrachte Leistung, jemandem mitzuteilen. Am liebsten hätte er alles haarklein erzählt, die Anstrengungen, die netten Abende, die netten Leute, oder von den Ängsten die ihn auch immer wieder plagten. Doch um Sabine nicht zu langweilen beschränkte er sich auf das nötigste. Er erzählte ihr von den Grundgedanken des “Ganzheitlichen Gedächtnistrainings”, den Merktechniken, den Denkspielen die sie in den Kursen gelernt hatten, ein wenig über das Gehirn und auch von der sozialen Komponente des Trainings. Aber vor allem erzählte er ihr wie froh er war, dass gerade diese Ausbildung auch für Blinde und Sehbehinderte angeboten wurde.

Da ertönte auch schon die Durchsage aus dem Lautsprecher, welche ihren Zug ankündigte: “Achtung, Achtung, auf Gleis 103, der Interregio IRE 4911, fährt in Kürze ein. Bitte Vorsicht an der Bahnsteigkante!” tönte es mit blechernen Stimme. Uns so machten sich die beiden auf den Weg, diesmal fühlte sich Sabine schon etwas sicherer und hatte weniger Bedenken. Ohne große Schwierigkeiten kamen sie dann auch in den Zug und zu einem Sitzplatz.

“Aber das ist ja total klasse, da könnte man ja glatt versuchen mit Gedächtnistraining schlank zu werden!” hakte Sabine im Zug nochmals nach, “Also zumindest wenn das stimmt, das man mit unserem Gehirn an die zwanzig Prozent unseres Energiebedarfsverbrauchen!” nahm Sabine ihr Gespräch wieder auf. “Na ja, das stimmt schon, und es heißt ja auch nicht umsonst Gedächtnissport! Doch das ist nur ein kleiner Nebenaspekt des ganzen, im Grunde geht es in erster Linie darum die Gedächtnisleistungen zu steigern. Und da spielen eben viele Aspekte eine Rolle. Deshalb sprechen wir in unserer Ausbildung von ganzheitlichem Gedächtnistraining!” erwidert Ralf mit theatralisch erhobenen Zeigefinger. “Ja, ja, ist schon klar, doch witzig fänd ich die Idee trotzdem! Aber das mit den Merktechniken hört sich schon sehr interessant an! Gut, die ein oder andere kenn ich auch, zum Beispiel die “Mindmapping-Technik”, wobei ich da noch keinen richtigen Zugang gefunden habe, aber von Routentechnik hab ich bisher noch nichts gehört!” sagte Sabine ein wenig von Ralfs Enthusiasmus angesteckt. “Ja das ist auch interessant, vor allem weil es so vielschichtig ist. Und wenn Lernen immer so viel Spaß gemacht hätte wie in diesem Kurs, dann weiß ich nicht was ich heute nicht alles sein könnte oder wäre!” bestätigte Ralf ihre Einschätzung. “Aber wie bist du denn dazu gekommen ausgerechnet Gedächtnistrainer zu werden, ich mein, also ich dachte immer blinde Menschen hätten von Haus aus ein etwas besseres Gedächtnis als andere?” sagte Sabine und schaute ihn fragend an. “Nun ja, klar müssen wir blinde uns von haus aus ein wenig mehr merken und etwas konzentrierter durch die Welt schleichen, aber dazu noch ein paar Methoden an die Hand zu bekommen kann ja auch nicht schaden. Und eigentlich hab ich mich schon immer ein wenig für Gedächtnisleistungen interessiert. Und irgendwie hatte ich schon länger nach etwas Ausschau gehalten, was ich neben meiner Arbeit noch tun könnte. Etwas was mich auch geistig ein wenig mehr fordern würde und ich mich beweisen konnte. Und da kam mir diese Ausbildung gerade recht, vor allem gab es bisher keine Kurse oder Ausbildungen für Blinde oder Sehbehinderte, die mich interessierten!” erklärte Ralf und lehnte sich wieder in den Sitz zurück.

Beide hingen ihren Gedanken nach, Sabine blickte in den grauen Nachmittagshimmel und betrachtete die vorbeihuschende Landschaft, und Ralf blickte ein wenig gedankenverloren nach oben. Dann, nach ein paar Minuten wandte er sich wieder ihr zu, “Und was machst du eigentlich so? Und weshalb meintest du vorhin du könntest auch ein wenig Gedächtnistraining gebrauchen!? Auch Sabine wandte sich wieder Ralf zu uns sagte, “Ich, ja ich studiere noch, Kunst und Musik an der Uni. Na ja und da kann man schon mal ein besseres Gedächtnis gebrauchen”! “oh, toll, dachte sich Ralf in diesem Moment, nicht nur dass auch er sich für Musik interessierte, vielleicht konnte er ihr ja mal ein paar Gedächtnistipps geben und so in Kontakt bleiben. Denn je mehr er sich mit Sabine, dieser tollen Stimme, unterhielt desto sympathischer wurde sie ihm. “Oh, Studentin bist du? Nicht schlecht, so weit hab ich`s leider nie gebracht!” erwiderte er, “Wenn du magst kann ich dir gern einmal ein paar Tipps geben oder dir ein paar Methoden zeigen die helfen können?” setzte er hoffnungsvoll nach. Und dabei versuchte er so unaufgeregt wie möglich zu klingen, denn schließlich sollte sie nicht gleich merken wie sehr ihn das freuen würde. “Ja klar, warum nicht!” erwiderte sie in einem unverbindlichem Tonfall, denn auch sie wollte nicht das Ralf merkte wie interessant sie ihn inzwischen fand. Am Anfang war sie nur von seiner Ausstrahlung fasziniert, doch mittlerweile hatte sie das Bedürfnis ihn noch näher kennen zu lernen.

“O.k. dann lass uns doch gerade mal unsere Telefonnummer austauschen und dann kann man ja weitersehen!” strahlte Ralf, den nüchternen Tonfall von Sabine ignorierend. Und schon stand er von seinem Sitzplatz auf, nestelte an seinem Koffer herum und holte sein Notizgerät heraus.

Sabine war zwar ein wenig überrascht über diese prompte Reaktion, doch insgeheim freute es sie, denn zeigte es doch, dass auch er Interesse an ihr hatte.

“Oh was hast du denn da für ein seltsames Gerät?” fragte sie erstaunt und deutete auf den kleinen schwarzen Kasten den Ralf nun in seiner Hand hielt. “Tja, das ist mein kleiner Alleskönner. Man sagt auch Organizer dazu, allerdings speziell für Blinde und mit einigen Zusatzfeatures. Damit hab ich zu Beispiel auch meine Notizen im Kurs gemacht.” Antwortete er mit einigem Stolz. Denn dieses Gerät ermöglichte es ihm auch ein wenig mit den Sehenden schritthalten zu können. “Ein was? Ich sehe keinen Bildschirm nur ein par Tasten und so seltsame Pünktchen oder Stiftchen wie man dazu sagen soll?” meinte Sabine etwas verwirrt.

Nun war es wieder an Ralf den Lehrer heraushängen zu lassen und Sabine einen kleinen Exkurs über die Blindenschrift und den Organizer mit seinen Besonderheiten wie Textprogramm, Kontaktdateien, Mp3-Player und anderem zu erklären.

“Und damit kannst du dir also alles notieren, mit nur sechs Punkten? Toll!” sagte Sabine ganz erstaunt als Ralf seine Ausführungen beendete. “Ja genau. Und jetzt sag mir doch bitte mal deine Telefonnummer und deine e-Maile-Adresse, dann könnte ich dir sogar mal was Nettes schreiben!” erwiderte Ralf grinsend. “Also gut, aber ich muss mir auch noch was zum schreiben holen.” Erwiderte sie und so fing auch sie an in ihrem Rucksack zu suchen. Als sie dann einen Stift und etwas zu schreiben gefunden hatte tauschten sie ihre Kontaktdaten aus. In diesem Moment erklang eine durchsage aus den Zuglautsprechern: „Sehr geehrte Fahrgäste in Kürze erreichen wir den Hauptbahnhof Stuttgart, Sie haben Umsteigemöglichkeiten…“,

Als sie gemeinsam aus dem Zug gestiegen waren, warteten sie erneut auf den Begleitservice der Bahn, der Ralf zu seinem Anschlusszug bringen sollte. Eine junge Dame mit lustigem rotem Hütchen trat auf Ralf zu und fragte ihn ob er den Begleitservice angefordert hatte. Ralf bestätigte ihr dies und erklärte ihr kurz warum er sie nun aber doch nicht brauchen würde. Die junge Dame hatte Verständnis und freute sich, dass sie so ein wenig früher in den Feierabend gehen konnte, denn Ralf war ihr letzter Kunde. Sie erklärte den beiden noch schnell den Weg zum nächsten Abfahrtsgleis, und das sie sich ein wenig beeilen mussten, denn sie hatten nur 14 Minuten Zeit bis zur Abfahrt.

Auch diesmal ging alles gut, Sabine hatte inzwischen schon etwas Übung Ralf zu führen, und wenn es auch anfangs für sie ein wenig seltsam war, Ralf an ihrem Ellenbogen kleben zu haben, machte es ihr nun nichts mehr aus. Irgendwie ein gutes Gefühl, diese Verantwortung für jemanden anderen zu übernehmen, bzw. das Vertrauen welches einem dabei entgegengebracht wird, dachte sie in diesem Moment ein wenig verwundert. Schnell hatten sie einen freien Sitzplatz gefunden und bevor sie noch ihr Gepäck verstauen konnten fuhr auch schon der Zug an.

„Sag mal Ralf! du hast vorhin mal was erwähnt von Arbeit die dich nicht auslastet und du deshalb diese Ausbildung zum Gedächtnistrainer gemacht hast. Was machst du denn eigentlich dann beruflich?“ fragte Sabine während sie sich ein buch aus dem Rucksack holte. „Ich bin Telefonist! sagte er “ Na ja, wenn man es genau nimmt eigentlich „Staatlich geprüfter Telekomunikationsoperator“!“ fügte Ralf schmunzelnd hinzu. „Klingt ganz schön hochtrabend oder? Dabei ist das nichts besonderes, den ganzen Tag immer die gleichen Sätze sprechen und viele Nummern wählen. Das ist halt nur bis zu einem gewissen Grad anspruchsvoll!“ erklärte er weiter, „Und so hab ich versucht meinen Horizont zu erweitern. Und so kann ich mein neuerworbenes Wissen vielleicht einmal in der Arbeit mit einbringen und meine Kollegen schulen, oder in meiner Freizeit privat Kurse geben, aber auf jeden fall wird es mir selbst zugute kommen, das steht schon mal fest!“ erläuterte er Sabine seine Beweggründe. Dabei stieg die Freude, über die bestandene Prüfung, wieder in ihm auf und was er alles in Zukunft damit anstellen wollte.

„Telefonist also?“ Sabine neigte unschlüssig den Kopf zur Seite, „Ist doch eigentlich in Ordnung, auf jeden Fall eine Aufgabe. Und immerhin bist du damit gesellschaftlich voll integriert und verdienst dein eigenes Geld. Ist doch super und welcher Job macht schon immer Spaß!? erwiderte sie. „Ja klar, das stimmt schon, und ich bin ja auch froh überhaupt Arbeit zu haben, aber es reichte mir halt nicht!“ bestätigte Ralf. „Außerdem glaub ich nicht wirklich, dass dieser Job so einfach ist, wie du sagst, schließlich musst du dir eine Menge von Nummern merken und die dazugehörigen Namen, ist doch eine ganz schöne Leistung.“ erwiderte Sabine ernst.

Da öffnete sich plötzlich die Abteilstüre und der Schaffner fragte nach den Fahrkarten. Beide kramten in ihren Taschen und zeigten die Karten vor. Bei dieser Gelegenheit wurde Ralf bewusst, dass er eigentlich unbedingt mal auf die Toilette musste. Da die Gelegenheit günstig war fragte er sie, ein wenig unsicher, ob sie ihn begleiten konnte, denn alleine würde er die wohl nicht finden und zurück schon gar nicht mehr. Sabine hatte kein Problem damit und da auch ihre blase drückte konnten sie dies gut miteinander verbinden. Also machten sie sich gemeinsam auf die suche nach den Toiletten, Sabine voraus und Ralf am Ellenbogen hinterher.

„Geh du nur zuerst!“ meinte Sabine als sie bei der WC-Türe ankamen. „O.k., kannst du mir vielleicht gerade noch zeigen wo man die Spülung betätigt? Denn das ist immer ein ziemliches Gesuche sonst!“ fragte Ralf als er in die Kabine eintrat. „Warte mal…“ erwiderte sie und trat ebenfalls in die Kabine, „Ah ja da, fühlst du das?? Hm, stimmt, die ist ziemlich versteckt und nicht besonders hervorgehoben!“ meinte sie, und nahm seine Hand und führte ihn an den Betätigungsknopf.

„So, das wäre also geschafft!“ sagte Ralf und hakte sich wieder bei ihr unter, als sie sich wider auf den Rückweg machten. „Mich würde nur mal interessieren, wann die Bahn endlich mal auf die Idee kommt, diese Toiletten barrierefrei zu gestallten? Ist doch ziemlich unappetitlich, dieses gefummle nach den Knöpfen!“ meinte er grimmig und Sabine konnte ihm nur zustimmen, nach dem sie bemerkte wie versteckt die Betätigungen für Blinde waren.

Als sie wieder in ihrem Abteil ankamen lehnte sich Sabine erschöpft in den Sitz zurück. am liebsten würde sie noch mehr über Ralf erfahren, der hatte eine echt nette Art, dachte sie, doch andererseits war sie doch etwas erledigt von der Fahrt und dem vielen neuen Eindrücken und hätte sich gern ein wenig ausgeruht und in ihrem mitgebrachten Liebesroman geschmökert. Doch was würde Ralf davon halten, wäre er dann beleidigt oder vor dem Kopf gestoßen, fragte sie sich.

„Sag mal Ralf, wir haben noch gut drei Stunden Fahrt vor uns, würde es dir was ausmachen wenn ich ein wenig lese?“ wagte sie dann doch ihre Frage zu stellen. Dabei beobachtete sie genau wie er reagierte. „Oh, ja klar, kein Problem! Ich glaub ich könnte auch eine kleine Pause gebrauchen, schließlich war das doch alles ziemlich aufregend heute. Ich werd mir ein wenig Musik rein ziehen!“ stimmte Ralf ihrem Vorschlag zu. Dabei holte er aus dem Koffer seinen MP3-Player heraus.

„He, was ist denn das? Ist das ein I-Pod-Nano? Kannst du denn damit was anfangen, der hat doch nur so ein Multifunktionsrädchen, das auf Berührung reagiert?“ fragte Sabine erstaunt als sie sah was Ralf da in der Hand hielt. „Ja richtig, ein tolles ding dieser Nano! Und klar kann ich damit was anfangen, zumindest mittlerweile, denn der hat die Zusatzfunktion: Voice-over, und damit hab ich eine Sprachausgabe integriert. Das heißt, ich bekomme alle Menüs und Inhalte angesagt.“ erklärte Ralf mit einigem Stolz, „Da hab ich dann alles Mögliche drauf, Musik, Hörbücher und Podcasts. Alles was das Herz begehrt, hi hi!“ schmunzelte er ein wenig spitzbübisch. „Wow, das ist ja echt toll! Was es nicht alles gibt, echt klasse!“ sagte Sabine beeindruckt. „Da musst du mir unbedingt mehr davon erzählen!“ wandte sie sich noch mal Ralf zu, bevor sie wieder ihr buch in die hand nahm. „Ja gern, sag einfach bescheid wenn dir danach ist!“ erwiderte er und stöpselte sich die Ohrhörer ein.

Sabine widmete sich also ihrer Lektüre und Ralf der Musik. Beide hingen dabei ihren Gedanken nach. Sabine versuchte sich auf den Text in ihrem Roman zu konzentrieren, doch immer wieder schweiften ihre Gedanken ab. Sie musste immer wieder über Ralf nachdenken, was, so dachte sie, sollte aus dieser Begegnung mit ihm werden, wollte sie ihn wirklich näher kennenlernen, konnte man mit einem blinden Mann eine Beziehung eingehen, oder sollte sie es bei einer netten Begegnung bewenden lassen? Immer wieder blickte sie von ihrem buch auf und beobachtete Ralf. Das war zwar sehr einfach, würde er doch nichts davon mitbekommen, andererseits war es auch ein wenig komisch, fast als würde man „Spannen“. Das irritierte sie doch ein wenig, und sie hatte dieses Gefühl obwohl er die Augen zu hatte. Da musste sie ihn vielleicht auch mal darauf ansprechen, denn warum machte er eigentlich die Augen zu, er konnte doch auch so nichts sehen, also, fragte sie sich, warum schloss er sie dennoch? Nach einer Weile lies sie das buch auf den Schoß sinken, sie konnte sich einfach nicht auf den Text konzentrieren. Während sie ihren Gedanken nachhing und sich ausruhte, blickte sie aus dem Fenster und betrachtete die vorbeirauschende Landschaft.

Auch Ralf hing seinen Gedanken nach. Er schloss wie immer seine Augen dabei, während die Musik ihn einhüllte, so konnte er sich besser von seiner Außenwelt abschirmen. Vor allem aber schloss er die Augen um nicht versehentlich jemanden an zu starren. Im Moment konnte das zwar nicht passieren, aber es war schon eine Art Gewohnheit. Zudem kam die Musik ein wenig intensiver rüber, wie er fand. Was für ein Tag, dachte Ralf, zuerst die bestandene Prüfung und dann diese Begegnung mit Sabine, dieser tollen Stimme und dieses sympathische Wesen das sie hatte. Manchmal muss man eben glück haben, dachte er, doch was konnte weiter daraus werden, fragte er sich. War es möglich, dass aus dieser Begegnung vielleicht sogar mehr werden konnte? Sie machte zwar einen ziemlich offenen Eindruck auf ihn und er hatte nicht das Gefühl sie würde sich nur aus Mitleid mit ihm abgeben, doch reichte das? Reichte das um sich Hoffnungen zu machen eine Freundschaft zu knüpfen, oder vielleicht sogar eine Beziehung? Nun all das ging ihm immer wieder durch den kopf. Aber auch die Frage wie sie wohl aussehen mochte beschäftigte ihn. Was wusste er inzwischen, überlegte er. Also sie war in etwa gleich groß, denn ihr Ellenbogen fühlte sich nicht viel höher als der seine und auch nicht viel niedriger an, zudem kam ihre Stimme beim gehen aus ähnlicher Höhe. Sportlich schien sie auch zu sein, zumindest fühlte sich ihr Arm durchtrainiert an, aber sonst… Er hatte keine Ahnung, Hatte sie blonde oder eher dunkle Haare, eine Kurz- oder Langhaar Frisur, hatte sie eine große oder eher eine Stupsnase? Große oder schmale Augen, alles blieb ihm verborgen. Und auch wenn ihn das manchmal nervte, hatte es doch auch seine vorteile. Denn für ihn zeigte sich erst das Wesen eines Menschen und später kam dann, vielleicht, das Äußere zum tragen. Aber irgendeine Vorstellung musste man sich ja machen, auch wenn diese mit der Wirklichkeit wenig zu tun hatte. So kreisten seine Gedanken hin und her, während er der Musik von U2 und Queen lauschte.

Nach einer ganzen weile, es mochte vielleicht eine dreiviertel Stunde vergangen sein, nahm Ralf die Ohrstöpsel wieder aus den Ohren und legte den MP3-Player auf die Seite. Er hatte, fand er, genug ausgeruht und Musik gehört. Vor allem wollte er aber wieder das Gespräch mit Sabine aufnehmen und sie besser kennenlernen. er hoffte nur, dass er dabei nicht aufdringlich wirkte und sie ihn ebenfalls näher kennenlernen wollte.

„Na, genug Musik gehört, oder glühen dir bereits die Ohren?“ fragte sie als sie sah wie Ralf die Hörer ablegte. Dabei freute sie sich, dass er endlich aufhörte Musik zu hören, schließlich hatte sie noch so viele fragen und die Zeit wurde langsam knapp.

„Ne ne, die Ohren glühen noch nicht, da pass ich schon auf, denn die sind eines meiner wichtigsten Sinnesorgane die ich noch habe. Aber jetzt ist auch genug ausgeruht und Musikgehört!“ erwiderte er schmunzelnd.

„Und was macht dein Buch, ist es spannend!“ fragte er und hoffte sie hätte auch genug davon und wollte sich wieder mit ihm unterhalten. „Ach das, dass hab ich schon weggelegt, ist auch eher eine Schnulze und weniger aufregend.“ antwortete sie und wandte sich Ralf wieder vollends zu. Nun viel ihr auch wieder die Frage ein, die sie vor kurzem beschäftigte: „Sag mal, wieso machst du eigentlich die Augen zu beim Musikhören, du siehst doch auch so nichts“? Ralf war zwar anfangs ein wenig wegen dieser Frage überrascht, doch andererseits, so dachte er, zeugte es auch von einem gewissen Interesse. „Ach, dass ist mir einfach lieber so! So starre ich niemanden versehentlich an und kann mich auch zusätzlich ein wenig von meiner Umwelt abschotten und ganz meinen Gedanken hingeben!“ erklärte er ihr. „Aber vor allem muss ich nicht auf andere reagieren. Jeder weis sofort, der ruht sich aus, will seine Ruhe haben, Fertig! Und ich geh peinlichen Situationen aus den Weg.“ fügte er hinzu und dabei beugte er sich ein wenig amüsiert vor. „Und was würdest du von mir denken wenn ich, versehentlich, in dein tief ausgeschnittenes T-Shirt blicken würde?“ fragte er in einem übertrieben provokanten Tonfall. „Na na, das lassen wir mal schön bleiben, du kleiner Strolch!“ erwiderte sie, ebenfalls im übertrieben pikiertem Tonfall.

Beide lachten über ihren kleinen spaß und lehnten sich wieder entspannt in die sitze zurück. Ralf war auch ziemlich erleichtert, denn ihm war schon klar, dass er sich da ganz schön weit aus dem Fenster gelehnt hatte, mit seinem spaß, der hätte auch ganz leicht nach hinten losgehen können. Doch er wollte auch rausbekommen wie viel Spaß sie verstand und wie weit er bei ihr gehen konnte. Umso schöner war es zu entdecken, wie ähnlich sie tickte und dass sie auf gleicher Wellenlinie waren.

Sabine war zwar ein wenig überrascht über diesen anzüglichen spaß, doch andererseits freute sie sich über seine ungezwungene Art und wie nett er diesen rüber brachte.

„Aber eins muss ich dich jetzt mal fragen, und ich hoffe ich trete dir dabei nicht zu nahe: Bist du eigentlich schon immer blind““ fragte sie, als sie sich wieder beruhigt hatten, etwas ernster, „Ich meine,, du sprichst von den dingen wie ein sehender, du erklärst wie ein sehender und vor allem versuchst du immer mit mir Blickkontakt auf zu nehmen! Also, na ja, das hätte ich so bei einem Blinden nicht vermutet.“ fügte sie ein wenig zögerlich hinzu. „Echt, das ist dir aufgefallen? Hm, nicht schlecht! Ja du hast das gut erkannt, ich bin erst vor gut fünf Jahren erblindet. Aber ich versuch auch weiterhin mich so zu geben als könnte ich noch sehen. Zumindest versuche ich die Gestik und Mimik bei zu behalten. Denn ich weis natürlich ganz genau wie wichtig das ist, so zusätzlich einen Kontakt mit anderen her zu stellen. Schließlich ist gute Kommunikation mehr als nur der Austausch netter Worte!“ antwortete Ralf und gestikulierte übertrieben mit seinen Händen. „Und du wirst das doch bestimmt aus deiner Musik und dem Unterricht kennen, da reicht es halt auch nicht einfach nur die töne zu spielen, da kommt es doch auch darauf an wie sie gespielt werden!“ ergänzte er, um seine Worte zu unterstreichen.

„Ja, da hast du natürlich Recht, und das ist gar nicht so einfach, macht aber dafür viel aus. Aber, wenn ich fragen darf, was ist da damals geschehen?“ Hakte sie nochmals nach. Sie wollte zwar nicht zu neugierig wirken, doch nun war ihr Interesse endgültig geweckt. Zugleich fühlte sie sich auch ein wenig unwohl, schließlich wollte sie keine alte wunden öffnen. Doch Ralf machte dise Frage nichts mehr aus, inzwischen hatte er sich mit der Blindheit arrangiert und die Tatsache Akzeptiert für die nächste zeit nichts sehen zu können, auch wenn er die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben hatte. Früher war das noch anders, da bereitete ihm der Gedanke nichts mehr sehen zu können echte Höllenqualen und darüber zu reden war ihm ein Gräuel, und es dauerte lange bis er der Wahrheit ins Auge blicken konnte. Aber er hatte mit der zeit auch erkannt, dass genau das wichtig war und er nur dann wieder ein erfülltes Leben führen würde, wenn er die Blindheit akzeptierte.

Und so erzählte er ihr also, wie er damals ein Fenster, im ersten Stock am Haus seiner Eltern reparieren wollte und dabei aus dem Fenster gestürzt war. Er erzählte ihr, wie er, bevor er auf den Steinoden vor dem Haus geknallt war, auf ein Vordach prallte, was ihm wahrscheinlich das Leben gerettet hatte. Die Folge aus dem Unfall war, so erklärte er ihr, dass er sich beide Arme gebrochen hatte und eine Schädelfraktur erlitt, die ihm beide Augennerven abquetschte.

„Junge, Junge, das hatte ich mir auch nicht träumen lassen, dass mir mal so was passiert! Aber im nachhinein betrachtet hatte ich auch ganz schönes dusle gehabt!“ sagte er und wandte seinen blick etwas nach oben, zurück in die Vergangenheit. Und wieder kamen ihn die Bilder von damals in den Sinn. „Was, Glück, das nennst du Glück?“ fragte sie entsetzt und bei dem Gedanken wie er sich damals gefühlt haben musste rann ihr ein kalter Schauer den Rücken hinunter. „Na ja, im Nachhinein schon, denn wäre das Vordach nicht gewesen, würde ich heute nicht mehr da sitzen. Und so, kann ich wenigstens noch einen großen Teil des Lebens genießen!“ erklärte Ralf beschwichtigend.

Weiter erzählte er wie er, für kurze Zeit, im Krankenhaus sein Bewusstsein wieder erlangte, wie er in diesem Moment nur schattenhaft sehen konnte, von den mysteriösen Bildern die er damals wahrgenommen hatte. Von dunklen Gängen, und großen schwarzen Toren die ihm bei der Durchfahrt mit der Liege geöffnet wurden, ähnlich denen, die man aus alten Ritterburgen kannte. Er erzählte von dem Moment als man ihm berichtete was mit ihm geschehen war und dass er sein augenlicht bei diesem Unfall verloren hatte. Er schilderte wie bestürzt er von dieser Nachricht war, und wie sein Glauben an Gott damit ins Wanken geriet. Auch schilderte er davon wie sehr er unter der Vorstellung ein Leben in Blindheit vor sich zu haben, gelitten hatte.

„Oh man, das muss ja schrecklich gewesen sein!“ meinte Sabine als er endete. „ja, Spaß ist was anderes!“ erwiderte er. „Und dann hattest du also den Glauben an Gott verloren? Hast du ihn denn wieder zurück gewonnen?“ fragte sie mitfühlend. „Ja in dieser Phase war ich sehr Unsicher was meinen Glauben anbelangte, doch nach einiger Zeit änderte sich das wieder. Denn ich glaube Gott hat mir in dieser zeit auch sehr geholfen und mir beigestanden. Heute bin ich sogar soweit, dass ich denke er hat mir eine…, hm also ich weis das hört sich vielleicht ein wenig blöd an, doch ich glaube er hat mir damit eine zweite Chance gegeben!“ antwortete er ein wenig unsicher und auch erstaunt was er dieser fremden Frau alles von sich erzählte.

Auch Sabine war überrascht wie tief er sie in seine Gefühlswelt hat blicken lassen und spürte wie ihr Gespräch eine neue Tiefe bekam, und mehr war als nur lockere Plauderei. „Ich bin froh das du deinen glauben wieder zurück gewonnen hast, aber wie meinst du das mit der zweiten Chance?“ fragte sie und beobachtete ihn mit kritischen Blick.

„Nun, es ist halt so, dass die Situation nicht besser wurde je mehr ich rumjammerte und über mein Schicksal grollte. Und da kam mir eines Tages der Gedanke, dass das alles auch einen Sinn haben konnte, ja vielleicht sogar musste. Da mein Leben vorher auch nicht immer ganz rund lief, wollte ich dies von da an ändern. Also die Chance war noch einmal bei Null anfangen zu können. Vieles von dem was mir an meinem alten Leben nicht gefiel konnte ich vielleicht dann ändern!“ erläuterte er seine Gedanken, „und einiges davon hatte ich auch tatsächlich geschafft! Wie zum Beispiel auch diese Ausbildung!“ fügte er etwas heiterer hinzu.

„O.K. das musst du mir genauer erklären und wie das alles so weiter ging.“ sagte sie mit wissbegierigem Tonfall. Wann hat man schon die Gelegenheit eine so ungewöhnliche Geschichte aus erster hand zu hören, dachte sie. „Das willst du wirklich wissen?“ fragte er etwas ungläubig, doch er konnte die Ernsthaftigkeit aus ihrer Stimme hören, „Na gut, aber dann möchte ich von dir auch ganz viel erfahren!“ forderte er sie schelmisch grinsend auf.

Als sie seinem Vorschlag zustimmte fuhr er fort seine Geschichte zu erzählen, wie er seinen Gedankenwandel vollzog und wieder neue Kraft und sinn im Leben fand. Er erzählte von dem Moment, der ihm fast wie eine Erleuchtung vorkam, wie er erkannte, das er eine zweite Chance geschenkt bekommen hatte, wie er sich überlegte was er alles anders, alles besser machen konnte. Er berichtete von der Zeit als er sich ganz auf seine Genesung und seiner Körperlichen und geistigen Fittnes konzentrierte. Berichtete von den Leuten, die ihm in dieser Zeit unterstützten, Freunde, Familie und Therapeuten, Ärzten und Lehrer.

Den größten Schub in seiner Entwicklung, so erläuterte er, war die Zeit in der Grundreha.

„Die Grundreha hatte mich wirklich einen rieseln Schritt nach vorn gebracht.“ sagte er und unterstrich jedes seiner Worte mit ausladenden Handbewegungen. „Und was macht man da, ich kann mir nicht so viel drunter vorstellen!“ fragte Sabine neugierig. „Na ja, das ist mit einem Internat vergleichbar. Du bist unter der Woche in einer Einrichtung und lernst von morgens bis abends. Da hat man einerseits Fächer wie Deutsch und Mathe, die dienen allerdings mehr als Lückenfüller, denn der entscheidende Unterricht beinhaltet die Erlernung der Blindenfertigkeiten. Also du lernst da die Blindenschrift, hast Mobilitätstraining, also mit dem Stock gehen und so, und dann kommen noch die Lebenspraktischen-Fähigkeiten dazu, wie Kochen, Putzen, Nähen, und Werken dazu!“ erklärte er, „Das ganze geht ein Jahr lang, und dann bist du wieder einigermaßen fitt für den Alltag!“ schloss er seine Erläuterung. „Oh man,

das hört sich ja ziemlich anstrengen an!“ erwiderte sie ein wenig verblüfft. „Das kannst du laut sagen! am Anfang war ich total platt am Abend, und konnte nur noch schlafen. Aber mit der Zeit gewöhnt man sich auch daran und der Erfolg, wieder ein Stück Selbstständigkeit zurück zu gewinnen, baute einen schon auf!“ meinte er und man konnte ihm ansehen wie viel Freude ihm das gemacht haben musste.

Dann berichtete er ihr von der anschließenden Ausbildung zum Telekomunikationsoperator. Von der Problematik sich viele Zahlen einprägen zu müssen, über die Büffelei des Unterrichtsstoffs, aber auch von dem tollen Gefühl wieder etwas leisten zu können. Er erzählte ihr von dem tollen Gefühl wieder eine Perspektive zu haben, dem erfolgreichem Abschluss seiner Ausbildung und dem großen Glück im Anschluss die Arbeitsstelle in München bekommen zu haben.

„Tja, das war schon eine klasse Zeit. vor allem wie sich dann alles zum Gutem gewand hatte. Und dann noch das glück mit einem Kumpel aus der Grundreha eine WG zu gründen und eine Wohnung in der Nähe der Arbeit zu finden, grenzt schon manchmal an ein Wunder!“ beendete Ralf seine Geschichte.

„Was? du lebst mit einem blinden Kumpel in einer WG?“ fragte Sabine aufs Neue überrascht. „Ja warum denn nicht. Mittlerweile sind wir auch zu dritt und die anderen sind nicht ganz blind. Beide sehen noch etwas, der eine mehr, der andere etwas weniger, aber im Vergleich zu mir wie Adler!“ erwiderte Ralf lachend. „nicht schlecht!“ meinte Sabine anerkennend „Und das klappt“? „Wunderbar! Der eine ist für die Einkäufe zuständig, der andere kann gut kochen und ich helfe im Haushalt mit. so hat jeder seinen Part und wir kommen gut miteinander aus.“ antwortete Ralf schmunzelnd.

Da Ralf vor lauter erzählen total das Gefühl für die Zeit verloren hatte tastete er nach seiner Armbanduhr, um zu sehen wie spät es geworden war. Und mit leichtem Entsetzen musste er feststellen, dass er sich total verplappert hatte, denn wenn er sich nicht ganz irrte mussten sie schon bald in Augsburg ankommen und er wollte doch noch so viel von ihr erfahren. Da kam ihn der Rettende Einfall, vielleicht konnte er doch noch mehr Zeit mit Sabine Verbringen.

„Oh man, jetzt hab ich mich mal wieder total verzettelt, jetzt haben wir die ganze zeit nur von mir geredet!“ sagte Ralf zähneknirschend. „Wieso, ist doch O.k. ich fand das alles total interessant!“ erwiderte Sabine lächelnd. „Ja gut, aber was hältst du davon mir trotzdem mehr von dir zu erzählen? Ich hätte da nämlich eine Idee… Was würdest du sagen, wenn ich dich in Augsburg zum Essen einlade, und wir dann noch ein wenig plaudern, denn ich hab gerade festgestellt wie hungrig ich inzwischen bin?“ fragte er mit klopfendem Herzen. „Hm, ja, warum eigentlich nicht, schließlich erwartet mich niemand zu hause. Ich könnte schon etwas zu essen vertragen. Aber einladen musst du mich nicht, ich bin schließlich eine emanzipierte Frau!“ erwiderte sie, mit unterdrückter Begeisterung, etwas schnippisch.

Man das kann ja noch heiter werden, der geht ja ganz schön ran, dachte Sabine, und freute sich über sein Angebot. Sie wusste zwar nicht wohin dass alles führen sollte, doch an einem gemeinsamen Abendessen war doch nichts auszusetzen. Warum nicht mal was außer der Reihe unternehmen, und schließlich muss man die Feste feiern wie sie fallen, dachte sie. Ralf war in diesem Moment ziemlich erleichtert, ein wenig Angst hatte er schon vor einer Absage. doch so war alles in Butter und seine Überwindung hatte sich ausgezahlt. Je länger er mit dieser Frau zusammen war, desto mehr empfand er für sie. Sie war so anders wie manch andere, hatte keine Hemmungen und Vorbehalte ihm gegenüber und ihm schien es fast so als teilte sie seine Zuneigung.

„Oh, ja umso besser, hihi, spar ich mir halt mein Geld!“ witzelte Ralf, „Aber ich wollte nur gern den Gentleman der alten Schule spielen, also bitte nicht missverstehen!“ erklärte er wieder etwas ernster. „Ach kein Problem, hab ich mir schon gedacht!“ sagte sie und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Hast du schon eine Idee wohin du zum Essen gehen möchtest?“ fragte Sabine in grüblerischem ton. „Ähmm hmm, lass mal sehen…“ er zog die Stirn in falten, eigentlich war er zu sehr damit beschäftigt gewesen zu überlegen wie er seinen Vorschlag vorbringen konnte, dass er sich noch gar keine Gedanken über das Wo gemacht hatte. „Ja, ich wüsste schon was. Kennst du das „König von Flandern“?“ sagte er lächelnd. „Ja klar, da war ich auch schon mal, da kann man richtig gut und deftig essen. gute Idee, Vorschlag angenommen!“ erwiderte sie gut gelaunt.

Da ertönte auch schon die Ansage aus dem Lautsprecher, der sie darauf aufmerksam machte, dass sie gleich in den Hauptbahnhof einfahren würden. Schnell packten sie ihre Sachen zusammen und machten sich erneut im „Entengang auf zur Ausstiegstüre.

Nach kurzem suchen waren sie dann auch schon bei den Schließfächern um ihr Gepäck dort aufzubewahren. Während Sabine ihren Rucksack bereits verstaut hatte, kramte Ralf noch nach seinem Handy und dem Geldbeutel. „lass mal sehen wie hier der Empfang ist, ich wollt meinen Kumpels nur noch eben bescheid geben, dass ich etwas später komme, sonst machen die sich noch sorgen!“ sagte Ralf und tippte ein paar Tasten an seinem Handy. Fasziniert beobachtete Sabine was Ralf da tat,

„Sag mal, was war denn das für eine Stimme aus deinem Handy?“ fragte sie als er fertig telefoniert hatte. „Ach das, toll oder? Das ist die Sprachausgabe an meinem Handy, denn ohne die könnt ich das gar nicht richtig nutzen!“ erklärte Ralf, „Vor allem kann ich so die Kontaktdaten verwenden, meine Termine verwalten und sogar SMS schreiben und lesen!“ fügte er mit einigem Stolz hinzu. „Nicht schlecht Herr Specht!!!“ meinte Sabine, „Und sogar mit SMS, Junge wer hätte das gedacht!“ trällerte sie in einem übertrieben beeindrucktem Tonfall, und knuffte ihn in die Seite, damit er nicht so angeben sollte. „Ja, ja, schon gut, aber toll find ich das trotz dem!“ entgegnete Ralf grinsend.

Als sich Ralf wieder bei ihr einhakte gingen sie noch eben zu den Anzeigetafeln, um sich die möglichen Rückfahrtzeiten an zu sehen. Dann schlenderten sie gemütlich durch die Fußgängerzone zum „König von Flandern“. Dabei ließ sich Ralf erzählen welche Geschäfte auf ihrem Weg lagen, schließlich war er schon länger nicht mehr dort gewesen und wollte gern wissen was sich inzwischen alles verändert hatte. Bei dieser Gelegenheit erzählte Ralf ein wenig von früher und was er so erlebt hatte, und auch Sabine berichtete ein wenig aus ihrem Leben.

Bis sie sich versahen waren sie auch schon im Lokal, hatten einen Sitzplatz und ein Kellner brachte die Speisekarte. „soll ich dir vorlesen was es alles gibt?“ fragte Sabine. „Das wäre nett, denn ich glaub nicht, dass die hier eine Karte in Blindenschrift haben!“ antwortete Ralf witzelnd. nach kurzem hin und her hatten sich beide entschieden. „Ich werd wohl das Geschnetzelte mit Spätzle nehmen! Und du?“ fragte Ralf. „Ich hab mich für die Schuppfnudeln entschieden, die schmecken hier besonders gut!“ antwortete sie und legte die Karte wieder weg. Da kam auch schon der Kellner und beide bestellten sich zu ihrem essen noch ein dunkles Bier.

„Du trinkst Bier?“ fragte Ralf ein wenig erstaunt. „ja klar, zum essen schmeckt mir das hin und wieder ganz gut. Und hier haben sie ein besonders gutes Bier find ich! Wieso, stört dich das?“ antwortete Sabine etwas irritiert. „Nein, nein, ganz im Gegenteil ich bin nur etwas überrascht das ist alles!“ entgegnete Ralf beschwichtigend. In Wirklichkeit fand er es total klasse, dass sie keine lustfeindliche Vegetarierin, die verbissen an ihrem Orangensaft nippte, war.

Während sie auf ihr Essen warteten, erkundigte sich Ralf, ob das Lokal immer noch eine so urige Einrichtung wie früher hatte. dabei erzählte er wie gern er früher hierher kam. Besonders wegen des gemütlichen Flairs, der gemütlich rustikalen Holzbänke, dem gewölbeartigen Baustiel im Keller, alles fand er sehr einladen. Sabine, empfand genauso, konnte dem nur beipflichten, auch sie fand es dort sehr schön. Mittlerweile fand sie es sogar noch besser wie früher, denn seitdem man in den Lokalen nicht mehr rauchen durfte, war die Luft viel angenehmer. Vor allem trieb es einen nicht mehr, egal wie toll es war, gezwungenermaßen an die Frische Luft, meinte sie lachend.

Als dann das Essen kam, machten sie sich mit großem Appetit über ihre Teller her. Und nach dem erst einmal der größte Hunger gestillt war, wollte er nun so viel wie möglich von ihr erfahren. Sabine war dann auch gern bereit, in dieser lockeren Atmosphäre von sich zu sprechen und ein wenig aus dem Nähkästchen zu plaudern.

so erzählte sie von ihrem Studium, der Freude an der Musik, dem Spaß daran ein Instrument zu lernen, und von ihren musikalischen Vorlieben.

„Und was hörst du dann so für Musik, hast du irgendwelche Lieblingsbands?“ fragte Ralf an dieser Stelle. „oh, wo soll ich da anfangen. Eigentlich mag ich ganz viel verschiedenes, Klassisches natürlich schon allein aus schulischen Gründen, aber am liebsten hör ich Sachen aus dem Bereich Soul, Jazz und hin und wieder rock oder auch die Sachen aus den 80-er`n. Nur mit der ganz neuen Musik komm ich nicht so gut klar, HipHop, Rap, so Sachen wie die von den Black-eye-pice, mit denen kann ich nicht soviel anfangen!“ erklärte sie und nahm einen großen Schluck von ihrem Bier. „Na da bin ich ja mal erleichtert, dass in deiner Aufzählung auch rock und die 80-er auftauchten, denn da hast du genau meine Musikrichtung getroffen. Obwohl ich mit Jazz und Soul auch was anfangen kann!“ erwiderte Ralf schmunzelnd. „Aber sag mal, du machst auf mich einen sehr sportlichen Eindruck, womit hältst du dich denn fitt?“ fragte er neugierig. „So, so, das ist dir aufgefallen? Na ja, Fittnes ist mir schon wichtig, und deshalb muss ich dich auch gleich warnen, denn ich mache Karate, also nimm dich in Acht!“ antwortete sie und stupste in lachend gegen die Schulter.

Sabine erzählte noch ein wenig von ihren sportlichen Ambitionen, von ihrem Kunstfächern an der Uni und kam dabei ein wenig ins Schwärmen über die alten Meister. Sie erzählte von ihrer Heimat im Schwarzwald, ihrem Elternhaus und was sie nach Augsburg trieb.

die Zeit verging wie im Flug, und nachdem sie ihr Zweites Bier geleert hatten, musste Ralf, nach einem Blick auf seine Uhr, entsetzt feststellen, dass es schon ziemlich spät geworden war.

„Sag mal Sabine, es ist schon spät geworden, was hältst du davon wenn wir uns langsam auf den Rückweg machen? Vor allem könnt ich noch ein bisschen Bewegung an der frischen Luft vertragen!“ sagte er gut gelaunt, auch wenn er dabei seine Traurigkeit überspielte. Und auch wenn er das Gefühl hatte, dass auch sie etwas für ihn empfand, und er seine wahren Gefühle zeigen konnte, war er doch unsicher.

„Oh man, wie die Zeit vergeht, es ist ja wirklich spät geworden! Na ja gut, dann sollten wir mal aufbrechen!“ erwiderte sie ein wenig wehmütig.

Nach dem sie bezahlt hatten, nahm sie ihn bei der hand und führte ihn auf die Straße. hand in Hand schlenderten sie nun durch die Gassen von Augsburg, wie ein altes Pärchen. Ralf war zwar anfangs etwas überrascht, doch hatte er nichts dagegen, ganz im Gegenteil. Fast kam es ihm so vor, als wäre es schon immer so gewesen, und Gedanken von Seelenverwandtschaft kamen ihn in den Sinn. Wenn es so was gab, dachte er, dann musste es sich genau so anfühlen. Und ihm wurde bewusst, wie gut es doch tat eine Frau zu spüren und ihre Hand zu halten.

Auch Sabine fühlte sich in Hochstimmung, so gut, dachte sie, hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt. Dennoch war sie noch ziemlich unsicher ihren Gefühlen gegenüber, und auf was sie sich da einließ. Denn immerhin hatte Ralf eine schwere Behinderung, auch wenn man ihm das nicht so anmerkte, schließlich machte er einen ziemlich selbständigen Eindruck und stand voll im Leben. Aber auch wenn sie in ihrer Gefühlswelt hin und her gerissen wurde, genoss sie es mit diesem attraktiven Mann die Straßen entlang zu gehen.

Bald schon, viel zu bald, wie beide fanden, standen sie wieder am Bahnsteig und warteten auf den Zug nach München. Spannung lag in diesem Moment in der Luft, keiner der Beiden wusste so recht wie er sich vom anderen verabschieden sollte.

Da tönte es auch schon aus den Lautsprechern, Ralfs Zug würde in kürze einfahren, und so fasste er sich ein Herz und nahm sie bei den schultern. „Das war wirklich ein toller Tag und Abend mit und, ähhh…..“ brachte er stotternd hervor, und als er nicht weiter wusste machte er einfach wonach ihm schon die ganze Zeit gewesen war, und küsste sie sanft auf ihren Mund. Sabine war zwar ein wenig überrascht über seinen unerwarteten Vorstoß, doch erwiderte sie seinen Kuss zärtlich.

„also ich wollte eigentlich sagen, werden wir uns wiedersehen, darf ich dich einmal anrufen?“ flüsterte er ihr ins Ohr. Sabine war jedoch immer noch überrascht, hin und her gerissen von ihren Gefühlen, so dass sie nicht sofort antworten konnte. Stattdessen nahm sie sein Gesicht in beide Hände und drückte ihm noch einen Kuss zur Antwort auf die Lippen.

„Na klar, was denkst du denn!“ antwortete sie dann lachend und begleitete ihn in den Zug.

Ralfs Herz schlug ihm bis zum Hals und er fühlte sich wie elektrisiert, als er sich auf den Sitzplatz niederließ. Was für ein Tag, was für ein Abend und was für eine tolle Frau, dachte er sich und konnte es immer noch nicht fassen. Andererseits kam es ihm in den sinn, durfte man ja auch mal glück haben im Leben. Der Zug war schon fast außer sichtweite, da blickte sie ihm immer noch hinterher. sie war total aufgewühlt, immer noch meinte sie einen Hauch seiner Lippen auf den ihren zu spüren. – Natürlich werden wir uns wiedersehen, dachte sie noch, als sie sich langsam umdrehte und auf den Ausgang zusteuerte.

(c) David Röthle / Kissing

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Wenn einer eine Reise tut

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Mit Vollgas voraus

Mit Vollgas voraus

David Röthle

Fritz hatte sich heute mit Freunden verabredet. Da er etwas zu früh am Treffpunkt war, wollte er noch eine Runde mit dem Wagen drehen. Er setzte sich in den Sitz. Es war schönes Wetter und der Asphalt trocken. Beste Voraussetzungen für ein kleines Rennen, dachte er sich.

Mit Vollgas und durchdrehenden Rädern fuhr er los. Heute wollte er es wissen, der Rekord musste doch zu brechen sein dachte er. Noch verlief die Straße gerade an Feldern vorbei. Die Anzeige auf dem Tacho wanderte immer weiter, 120, 140, 160, bei 180 Stundenkilometern bog er in ein Waldstück ein und musste dabei ein wenig vom Gas gehen. Doch bereits nach verlassen des verschlungenen Waldstücks trieb er die Maschine wieder an. 130, 150, 170 Stundenkilometer, pfeilschnell schießt Fritz mit seinem roten Ferrari über die Landstraße. Selbst vor der herannahenden Bergkuppe wurde das Tempo nicht gedrosselt. Mit Tempo 200 erreichte er die Spitze des Hügels, wobei die Reifen kurzfristig den Bodenkontakt verloren. Dahinter ging es, nach einer Senke, in eine steile Rechtskurve. Das Heck brach aus, der Wagen geriet ins schlingern und nur mit Müh und Not konnte Fritz den Wagen wieder auf die Spur bringen. Fritz spürte wie seine Hände feucht wurden und sein Herz Adrenalin durch seine Adern pumpte. Doch bis jetzt war alles gut gegangen. Die Musik, die aus den Lautsprechern dröhnte wurde kaum noch von ihm wahrgenommen. Anfangs hatte sie ihn aufgepeitscht, doch jetzt musste er sich konzentrieren, er wollte schließlich den Rekord brechen.

Schon raste er auf einen Kreisverkehr, der zwei Landstraßen verband, zu. Ohne die Geschwindigkeit zu verringern riß er in schnellen Bewegungen das Steuer, rechts und sofort wieder links, herum. Der Wagen brach nur kurz, etwas staub aufwirbelnd, aus und blieb weiter in der Spur. Schon raste Fritz auf eine kleine Ortschaft zu. Auch hier verringerte er die Geschwindigkeit nur geringfügig, die Nadel stand noch auf 150 Stundenkilometern. Mit seinem irrsinnigen Tempo raste er auf eine Links Kurve zu. Etwas wollte er die Geschwindigkeit drosseln, schließlich wollte er nichts riskieren.

Doch was war das? Entsetzen machte sich auf seinem Gesicht breit. Einige Meter nach der Kurve rannte ein großer Hund auf die Straße. Die Gedanken rasten durch seinen Kopf – er würde nicht mehr ausweichen können, die Geschwindigkeit ist viel zu hoch, was soll ich nur machen – als er panisch auf die Bremse stieg und das Steuer herumriss, um doch noch auszuweichen.

Doch im selben Moment schleuderte er schon in die Hauswand vor dem Hund.

Mit lautem Krachen schlug er in die Wand ein, gleichzeitig explodierte der Wagen und die Trümmer flogen, in einen roten Feuerball, durch die Luft.

Da legte sich eine Hand auf seine verkrampfte Schulter.
“Nur gut, dass das nur ein Video-Spiel ist, alter Raser! Komm jetzt raus aus dem Kasten, die anderen sind auch schon da.”, sagte Hans, ein Kumpel, mit dem sich Fritz verabredet hatte und half ihm aus dem Fahrsimulator heraus.

GAME OVER

(c) David Röthle / Kissing

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Mit Vollgas voraus

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Extremsport – Höher, schneller, weiter

Extremsport

höher, schneller, weiter

David Röthle

Höher, schneller, weiter, das sind die drei Eigenschaften, an denen sich die Menschen von je her gemessen haben. In Sport und Technik wurden immer neue Rekorde erzielt. Immer mehr neue Sport- und Spielarten wurden erfunden um die Menschen wieder zu begeistern und den Reiz der Bewunderung neu zu erleben. Dabei entstanden unter anderem die Extrem-Sportarten “Downhill” und “Freeclimbing”.

Downhill eine Sportart, bei der sich Radfahrer in einem halsbrecherischem Tempo einen Berghang, über Geröll und Wurzeln, hinabstürzen, in der Hoffnung mit heilen Knochen im Ziel anzukommen.

Beim Freeclimbing versuchen “Bergsteiger” todesmutig Hänge zu erklimmen, oft nur mit der Kraft der eigenen Hände, ohne Seil und Sicherung.

An diesen beiden Sportarten kann man vor allem den Ideenreichtum der Menschen erkennen, so sind sie vermutlich aus einem Unglück bzw. einer Not heraus entstanden.

So könnte beim Downhill der Auslöser eine Radtour durch die Berge gewesen sein, bei dem ein Teilnehmer möglicherweise vom Weg abkam und den Abhang zwischen Bäumen und Geröll, gezwungenermaßen, bewältigen musste. Da der so genötigte Radler diese Höllenfahrt nicht nur überlebte, sondern auch noch spaß daran gefunden hatte, konnte er bald weitere mutige dafür begeistern. So entstand ein Breitensport mit vielen Anhängern. Not macht bekanntlich erfinderisch.

Ähnlich verhält es sich vermutlich auch mit dem “Freeclimbing”: So erzählt man sich, habe ein vergesslicher Bergsteiger, nach stundenlanger anfahrt an den Klettersteig festgestellt, dass er ohne Ausrüstung losgefahren war. Der Unerschütterliche lies sich jedoch von dem Vorhaben, den Gipfel zu erklimmen, nicht abbringen und kletterte so wie er war drauflos.

Da der wagemutige Kletterer dieses halsbrecherische unternehmen nicht nur mit heiler Haut beendete, sondern auch Begeisterung daran empfand, ging er seit dem immer ohne Ausrüstung in die Berge. Freunde und Beobachter die es ihm gleich taten lösten eine wahre Welle von einer neuen Art der Klettereuphorie aus.

So, oder so ähnlich entstanden vermutlich viele der heutigen Sportarten, die auch Wettkampfmäßig ausgetragen werden. Vor allem mit denen man auch viel Geld verdienen kann.

Auf solch eine Entdeckung, unbekannter Sportarten, hofft auch mein Bekannter. Deshalb trainiert er für den Fall der Fälle wie ein Besessener einen Sport, der, als solcher, noch unbekannt ist. Gut unbekannt ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck, viel mehr ist dieser als sollcher noch nicht deffiniert. Jedoch ist diese “Ertüchtigung”, vor allem bei der Jugend, sehr beliebt und die Anhängerschaft wächst ständig. Genaugenommen gibt es diese “Sportart” schon sehr lange, doch wurde sie meist von den Eltern unterdrückt, da sie einerseits für einerseitz gesundheitsschädlich und andererseitz bnicht vorzeigbar gehalten wurde.

Doch mittlerweile macht sich bei der Elternschaft Resignation breit und die Jugend bekommt die Oberhand. Da diese Disziplin als “Sport” relativ neu ist gibt es dafür noch keinen Namen. Denkbar wäre es diesen mit:“Room-wasting”, also Raumverschmutzen, zu benennen.

Im Prinzip geht es darum in geschlossenen Räumen so viel Schmutz, in so kurzer Zeit wie möglich zu produzieren und diese Situation so lange wie möglich zu ertragen.

Einer der Schwierigkeiten dieser “Sportart” ist es die richtigen Trainingsbedingungen zu schaffen, sprich den Wohnraum zu säubern und aufzuräumen. Doch mittlerweile kann es schon passieren das man dabei von der Mutter, oder anderen Unterstützern tatkräftig Beistand erhält. Die nächste Herausforderung besteht nun darin, den so mühevoll gesäuberten Raum in so kurzer Zeit wie möglich wieder in Unordnung zu versetzen, die schwachen Eltern davon abzuhalten den Trainings-Urzustand wieder herzustellen und weiterhin das Chaos stündlich ins unermessliche zu steigern.

Hierbei werden einem höchste Körperliche und geistige Leistungen abverlangt, schließlich ist man ständig in Bewegung, um weitere Unordnung zu schaffen, und muss mental in der Lage sein, diesen Schmutz, in dem man leben muss, verkraften zu können.

Mein Bekannter, in seinem Trainingseifer nicht zu bremsen, hat nun eine neue Steigerungsform gefunden. Er bindet dabei alte Lebensmittel und Getränke mit ein, die dann zusätzlich Gerüche bilden und Tiere anlocken. Gäbe es keine anderen Mitbewohner würde er diese Wohnsituation vermutlich eine halbe Ewigkeit ertragen und auf weitere Räume ausdehnen.

Mit anderen Worten, Sollte “Room-Wasting” irgendwann einmal Olympisch werden, ist mein Bekannter mit Sicherheit einer der Titelanwerter. Ansonsten gilt es eben weiter Augen und Ohren offen zu halten für Möglichkeiten einen neuen Extremsport zu kreieren!

(c) David Röthle / Kissing

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Extremsport – höher, schneller, weiter

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Weihnacht

Weihnacht

Jutta Frenzel – 2014

Den Menschen zur Freud
klingt der Glocken Geläut,
lädt ein ihr festlicher Klang
mit Weihnachtsgesang.

Kinderstimmen, die frohlocken.
Leise fallen sacht die Flocken
in schöner weißer Pracht,
leuchtend hell in der Heiligen Nacht.

Blicke gehen zum Fenster raus.
Still ist es im ganzen Haus,
wo Spannung sich verbreitet.
Nun ist alles vorbereitet.

Kinder hört man fröhlich singen,
hell ihre Stimmen erklingen.
Mit Freude sie schon daran denken;
Was wird das Christkind mir wohl schenken?

(c) Jutta Frenzel / Kaiserslautern

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Stövchen statt Stößchen

Stövchen statt Stößchen

Jutta Frenzel – 2012/13/14

“Oh, oh“, sage ich halb laut vor mich hin.
“Was ist oh, oh?“, mein Mann schaut von seiner Zeitung auf.
“Hab ich geschlafen, oder warum bekomme ich nicht mit, dass in vier Wochen Heilig Abend ist?“ Ich setze mich ihm gegenüber.
“Dann hast du beim Schlafen was Gutes geträumt, dass dir das jetzt erst auffällt“, bemerkt er trocken.
“Scherzkeks“
“Danke Schatz, das ist nett von dir“, grinst mein Gatte. “Ja, du hörst und siehst kaum was und, wenn du bei der Arbeit bist, bist du komplett weg. Eben in deiner Welt versunken“
“Vergiss nicht die Vermisstenanzeige aufzugeben“, lache ich. “Im Ernst, es wäre mir recht, wenn du mir bei den Weihnachtsvorbereitungen helfen könntest. Ich hab in zwei Wochen eine Auftragsarbeit abzugeben“.
»Okay, wenn das so ist, lass uns darüber sprechen«
Nachdem alles besprochen ist, bin ich auf dem Weg in mein Arbeitszimmer. Ich höre ihn hantieren und Weihnachtslieder singen. Kurze Zeit später kracht es laut. Erschrocken stehe ich auf und eile in die Küche.
“Was ist los?“, frage ich ängstlich und sehe meinen Mann auf dem Küchenboden knien.
“Mir ist nur die Schüssel mit dem Gerät heruntergefallen“, brummelt mir Jakob ärgerlich entgegen.
“Ein Schlüssel ist dir hingefallen? Zu welchem Gerät?“
“Es ist mir KEIN Schlüssel, sondern die Schüssel samt Gerät heruntergefallen“, korrigiert er mich, als ich auf ihn zueile, um ihm zu helfen.
“Lass das bitte Jule, geh an deine Arbeit, ich mache das“.
Ich lächele ihm zu, um ihn aufzumuntern und verschwinde.
Bis zur Mittagszeit widme ich mich dem Projekt und gönne mir eine Pause, als ich mit dem ersten Drittel meines Manuskripts fertig bin.
“Was soll ich zum Mittagessen kochen?“, frage ich, als ich die Küche betrete.
“Hm, aus Zeitmangel sollten wir uns etwas kommen lassen und einen Wein dazu trinken. Das haben wir uns verdient“, antwortet Jakob, als er sich erschöpft auf den Küchenstuhl fallen lässt. Die Zeit, die wir auf das Essen warten, nutzen wir, um die ersten Plätzchen zu backen und aufzuräumen.
Wein und ein Wild-Menü mit Nudeln genießen wir im Esszimmer und unterhalten uns über die Missgeschicke, die uns in den letzten Stunden, passiert sind. Wir haben viel zu lachen. Während ich ins Büro zurückgehe, macht sich mein Mann auf den Weg zum Einkaufen.
An dem Tag, an dem ich den Abgabetermin habe, komme ich müde und erschöpft nach Hause.
“Hallo Jule, wie war dein Tag?“ begrüßt mich mein Mann mit einer Umarmung und hilft mir aus dem Mantel.
“Danke, ist alles bestens verlaufen und ich bin froh. Für den Rest des Jahres habe ich Urlaub“.
Endlich Heiligabend und früh beginne ich den Tag. Kaum ist es Mittag, kommen mein Schwager Urs und mein Bruder Victor mit ihren Familien. Jakob geht mit den Kindern ins Wohnzimmer. Gemeinsam mit den anderen bringe ich das Gepäck ins Haus. Die Geschenke werden im Büro versteckt. Eva, die Frau meines Schwagers und Marie, die Frau meines Bruders, gehen mit mir in die Küche, Urs und Victor verschwinden, um mit den Kindern und Jakob zu spielen.
Die Eltern treffen ein, als wir Kaffee trinken.
“Hey ihr Wichte deckt den Tisch!“, fordere ich die lärmende Bande auf. Als alles fertig ist, gehen wir auf unsere Zimmer.
Schick herausgeputzt sehen wir uns wieder im Wohnzimmer. Wir singen »Oh du fröhliche« und »Stille Nacht« und die Kinder tragen ihre Gedichte vor. Endlich, die Geschenke werden verteilt. Kaum haben alle ihre Gaben, mit einem “Frohe Weihnachten“, geht es ans Auspacken. Hier und da sind “Ohs“ und “Ahs“ zu hören, Jubellaute und helles Lachen genauso wie das eine oder andere Brummen.
Kurz bevor ich das Essen aus der Küche bringen will, sehe ich meine Schwägerin beim Öffnen der Schränke.
“Was suchst du Marie, kann ich dir helfen?“, frage ich und gehe auf sie zu.
»Ich schaue mich nach einem Stövchen um«
“Was möchtest du, ein Stößchen?“, schüttele ich verwundert den Kopf. Die um uns herumstehen fangen an zu lachen, weil ich es falsch verstanden habe. Jakob kommt und legt seinen Arm um meine Schulter.
“Schatz, kein Stößchen, sondern ein Stövchen will Marie. Aber das andere kannst du später haben!“ grinst er fröhlich.

(c) Jutta Frenzel / Kaiserslautern

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Stövchen statt Stößchen

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Gibt’s Kaffee und süße Torte

Gibt‘s Kaffee und süße Torte. . .

Marc Mandel

(Beitrag zum BLAutor-9-Wörter-Schreibwettbewerb 2018.
Die in den Text aufzunehmenden Pflichtwörter: Kaffee, Katze, Kompass, Natur, Schreibmaschine, Tintenfass, Torte, Weinglas und Wendekreis.)

Gibt‘s Kaffee und süße Torte
ahnt der BLAutor gute Worte
Nur die Katze döst beim Weinglas
sie braucht niemals einen Kompass
Liest der BLAutor Wendekreis
denkt er an den Krimipreis
Mancher schreibt in der Natur
Nutzt den Stift statt Tastatur
Tintenfass und Schreibmaschine
Schlummern still in der Vitrine

(c) Marc Mandel / Griesheim

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