Brigitte Kemptner

Zu meiner Person

Ich bin Jahrgang 1952,
geboren in Südhessen und von Geburt an sehbehindert. Dass ich auf dem linken Auge völlig blind bin (Netzhautablösung), erkannte man erst, als ich vier Jahre alt war. Auf dem Rechten sehe ich noch so viel, dass ich in meinem gewohnten Umfeld gut zurecht komme. Ich habe die Blindenschule in Friedberg/Hessen besucht und mit einer Ausbildung zur Phonotypistin abgeschlossen, obwohl mein Traumberuf Kindergärtnerin gewesen wäre.

Heute lebe ich in der Nähe von Mannheim, bin mit einem blinden Mann verheiratet und habe zwei erwachsene Töchter. Zu meinen Hobbys gehören das Lesen von Kindheit an und das Verfassen von Gedichten, hauptsächlich zu kleinen Feiern oder zum Geburtstag. Diese Texte gingen leider verloren und so fing ich erst später wieder an mit der Dichterei.
Das war so Anfang 2000. Kurz darauf entdeckte ich meine Liebe zum Geschichtenschreiben. Im Internet fand ich Foren, in denen ich mich mit Gleichgesinnten zusammen tat, was sehr lehrreich war. Außerdem machte ich ein Fernstudium bei der Schule des Schreibens in Hamburg mit Schwerpunkt Kinder- u. Jugendliteratur. Außerdem schreibe ich gerne Fantasiegeschichten. Mittlerweile liegen drei Romane in diesem Genre vor:

Veröffentlichte Romane

„Amanda – eine abenteuerliche Reise“

Fantasy-Roman ab 12 Jahre
ISBN 978-3-981740-68-0
Erschienen im Edition-Paashaas-Verlag, Hattingen

Klappentext:
Aufregung im Land der Fantasie! Dunkle Gestalten, angeführt von ihrem machthungrigen und hasserfüllten Meister, bedrohen die Völker der Zwerge, Wichtel, Elfen und anderer zauberhaften Wesen.
Amanda, ein Mädchen aus dem Menschenreich, wird in die Geschichte verwickelt und erlebt ein gefährliches Abenteuer. Wird sie zur R-ettung der Fantasiewelt beitragen können?
Wenn sie doch nur wüsste, welche Tür die richtige ist …

„Nebel von Osej“

Fantasy-Roman ab 12 Jahre
ISBN: 978-3-96174-093-2
Erschienen im Edition Paashaas-Verlag, Hattingen

Klappentext:
Elena war heftig erschrocken, als Alex`Augen
völlig unverhofft die ihren getroffen und sie wie
hypnotisiert festgehalten hatten. Es war ihr gewesen
als blickt sie in zwei eisgraue Seen. Sie hatte mit einem Mal
gefroren und Angst in sich aufsteigen gefühlt. Es war ihr nicht
gelungen, dem Blick zu entkommen.

Da gab es eine ganz besondere Magie zwischen den
Teenagern. Als beide das Geheimnis ihrer Herkunft
erfahren, beginnt ein mystisches Abenteuer. Werden sie
es schaffen, den mächtigen Fürsten Walgor von Walgsam
zu stoppen und für Frieden zwischen den Völkern
Smela und Sidoc zu sorgen?

„Schatten über Osej“

Fantasieroman für Leser ab zwölf Jahren
Band 2 der Osej-Reihe
ISBN: 978-3-96174-101-4
Erschienen im Edition-Paashaas-Verlag, Hattingen

Klappentext:
Nach dem mysteriösen Tod des kaltherzigen und grausamen Fürsten schien die Welt in Osej wieder in Ordnung zu sein. Das Volk Sidoc, das am meisten unter der Herrschaft gelitten hatte, war wieder frei und unabhängig. Einige Ereignisse in Osej ließen die Bewohner daran jedoch zweifeln. Hatte Walgor vielleicht doch noch genug Anhänger, die seinen Tod nicht so einfach hinnehmen wollten? Spätestens als das Mal des jungen Fürstenssohns Alex erneut zu schmerzen beginnt, weiß er, dass seine Familie in der Anderswelt Hilfe benötigt. Zusammen mit Elena stellt er sich ein weiteres Mal den dunklen Mächten in Osej … Wird er auch diesmal die Schatten seiner Vergangenheit besiegen können? Dieser Nachfolge-Roman der Fantasy-Story Nebel von Osej sorgt für neue Spannung und noch mehr Magie.

„Teenager-Tränen“

Jugendroman ab 14 J.,

ISBN 978-3-96174-085-7
Erschienen im Edition-Paashaas-Verlag, Hattingen

Klappentext:
Es war fast unmöglich, sich gegen Eltern durchzusetzen, die Spießer waren … als Mädchen schon mal gar nicht. Aber damit hätte ich mich ja noch abfinden können, wären sie nicht auch noch streng und unzeitgemäß gewesen. Klar liebte ich meine Eltern, weil man das als gehorsame Tochter nun mal tat. Nein, im Ernst, ich liebte sie wirklich. Aber liebten sie mich auch?
Juliane steckt mit ihren 15 Jahren so richtig in der Pubertät. Als dann auch noch der hübsche Felix auftaucht, gerät das Leben aus den Fugen. Denn ihre beste Freundin Lara kann viel mehr Zeit mit ihm verbringen als sie selbst.

Entscheidung in Osej“

Band 3 der Fantasiereihe
ISBN: 978-3-96174-121-2
Erschienen im Edition Paashaas Verlag, Hattingen

Klappentext:
Elena findet bei ihrer Oma eine alte Schatulle mit einem Medaillon. Neugierig öffnet sie es und blickt auf ein Foto, das sie schon einmal in größer gesehen hatte. In Osej bei der weisen Hexe Serafina. Das Mädchen in dem Medaillon zeigt Jinni, die vor über zweihundert Jahren aus Osej geflohen war …
Oma musste es also auch wissen, dass sie von einer anderen Welt stammten. Zusammen beschließen die beiden, die Vergangenheit aufzuklären. Dafür zaubert sich Elena zurück in die Anderswelt und gerät dabei in gefährliche Abenteuer.

Dieser 3. Band der Fantasy-Story rund um Osej sorgt für weitere Spannung, denn die Vergangenheit verbirgt Geheimnisse, mit denen Elena nie gerechnet hätte.

Weitere Schwerpunkte

Kindergeschichten, Märchen und Fabeln. Gedichte und einige Kurzgeschichten wurden schon in Anthologien veröffentlicht.
Zu meiner Webseite geht es hier lang.

Gedichte Schnellnavigation

Im Morgengrauen
Am Morgen
Dämmerung
Abendlied
Herbstgedanken
Herbstzeit
Schmetterling und Herbst-Zeitlose
Spaziergang im Herbst
Wehmut
Kinderaugen
Weihnachtszeit
Adventzeit
Tannenbaum
Vorweihnachtszeit
Weihnachtsmarkt

Prosa Schnellnavigation

Alexandras Weg
Eine kleine Liebesgeschichte (Lesung)
Höhenflug
In der Stille der Nacht
Reise in die Vergangenheit
Der Bettler
Der kleine Schutzengel
Engelshaar

Gedichte

Im Morgengrauen

Es zieh’n die ersten Sonnenstrahlen
im Osten auf – der Tag beginnt.
Schon werden alle Träume fallen,
weil sie der Morgen von mir nimmt.

Recht früh will ich das Bett verlassen,
denn dies ist mir die schönste Zeit.
Noch ist es ruhig auf den Strassen,
ich öffne meine Fenster weit.

Nun dringen zu mir all die Düfte
der Blumen, die im Garten stehn,
und munter fliegen durch die Lüfte
die Vögel, weit kann ich sie sehn.

Ein sanfter Wind bewegt die Bäume,
und weiße Wölkchen westwärts zieh’n.
Dann dringt die Sonne in die Räume,
wo auch die letzten Schatten flieh’n.

(c) Brigitte Kemptner / Brühl
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Am Morgen

Wie ist der Morgen frisch und jung,
im Bette hält es mich nicht mehr.
Bin froh gelaunt und voller Schwung,
ich lieb die frühen Stunden sehr.

Mir schnell einen Kaffee gemacht,
und freu’ mich auf den neuen Tag.
Der Himmel blau, die Sonne lacht,
frag mich, was er wohl bringen mag?

Lehn weit zum Fenster mich hinaus,
und atme ein die frische Luft.
Nach Regen sieht es heut nicht aus,
vom Garten her weht Blütenduft.

Die Farne leicht im Winde wehn,
und Rosen zeigen volle Pracht.
Das Flügelvolk ist auch zu sehn,
denn die Natur ist schon erwacht.

Ein Vogel setzt sich plötzlich nieder
Die Fensterbank scheint dafür recht.
Er trällert munter seine Lieder,
ich sage nur, ist gar nicht schlecht.

(c) Brigitte Kemptner / Brühl
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Dämmerung

Am Himmel roter Feuerball,
ein Tag, der sich dem Ende neigt.
Wie schön die Ruhe überall,
weil ringsumher jetzt alles schweigt.

Und eingehüllt in diese Stille
tret ich hinaus ins Abendlicht.
Nicht weit im Felde – eine Grille,
und auch der Mond ist schon in Sicht.

Ich wand’re wohl geradeaus
dem Sonnenuntergang entgegen.
Vorbei an so manch‘ fremden Haus,
bin froh, niemandem zu begegnen.

Der Abend soll der Meine sein,
verlier mich ganz in wache Träume.
Laß‘ nieder mich auf moos’gem Stein,
und lausch dem Rauschen alter Bäume.

Nun wirds lebendig überall,
die Sonne hat sich längst gesenkt.
Und schon hat eine Nachtigall
ihr schönstes Liedchen mir geschenkt.

Ein Käuzchen ruft und eine Eule,
man hört es sicherlich sehr weit.
Bleib‘ sitzen hier für eine Weile,
zum heimwärts gehen ist noch Zeit.

(c) Brigitte Kemptner / Brühl
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Abendlied

Es senken sich die letzten Strahlen
der Sonne über’s Häusermeer.
Und in der Dämmerung, der fahlen,
zieh’n dunkle Schatten schon einher.

Die Luft ist kühl, die Bäume rauschen,
gar immerfort ihr altes Lied.
Man muss dem Abendvogel lauschen,
der stetig seine Kreise zieht.

Gar freundlich ist er uns gesonnen,
der Mond, der dort am Himmel steht.
Hat seine Wand’rung nun begonnen,
die um die ganze Erde geht.

Die Grillen zirpen in der Ferne,
und eine Eule klagt ihr Leid.
Am Firmament leuchten die Sterne,
der nächste Morgen ist noch weit.

(c) Brigitte Kemptner / Brühl
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Herbstgedanken

Kaum ist der Sommer fortgegangen,
da zeigen sich die Nächte kühl.
Im Nebel scheint die Welt gefangen,
Natur zeigt uns ihr Wechselspiel.

Die Luft den Herbst wohl lässt erahnen,
die Kraft der Sonne bald erlischt,
Längst zogen Vögel ihre Bahnen,
das Herzblut sich mit Wehmut mischt.

Die Kälte kriecht über die Dielen,
beharrlich in mein Haus hinein,
Und will der Wind mit Bäumen spielen,
lädt mancher Ast ihn dazu ein.

Am Abend schau ich in die Ferne,
die Dunkelheit misst jeden Raum.
Am Horizont funkeln die Sterne,
und träumen bald den Wintertraum.

(c) Brigitte Kemptner / Brühl
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Herbstzeit

Gold-braun fallen sanft hernieder,
welke Blätter auf das Land.
Tau benetzt die Augenlider,
Wind verweht manch Spur im Sand.

Einsam steht die alte Linde,
kein Vogel singt mehr im Geäst.
In warmen Kleidern hält das Kinde,
die Leine seines Drachens fest.

Ernte ist längst in der Scheune,
manch Sorte Wein reift schon im Fass.
Verblasst ist bald die Sommerbräune,
und reichlich Regen macht uns nass.

Langsam geh ich durch die Heide,
die reichlich blüht in weiß und blau.
Dies zu genießen – eine Freude,
ist auch der Himmel dabei grau.

Gold-braun fallen Blätter nieder,
und weißer Nebel steigt empor.
Und nächstes Jahr im Frühling wieder,
da treiben sie erneut hervor.

(c) Brigitte Kemptner / Brühl
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Schmetterling und Herbst-Zeitlose

Vorüber ist der Sonne Glanz
das bunte Treiben auf den Gassen,
vorbei der Schmetterlingentanz,
der Sommer hat uns schon verlassen.

Mir scheint, der Herbst betritt die Au,
denn schon am Morgen beim Erwachen
zeigt sich das Himmelskleid in Grau,
ich schlüpf in meine warmen Sachen,

Nur selten noch erklingt ein Lied
der Vögel draußen in den Bäumen,
die Kälte langsam einwärts zieht,
vertreibt die Wärme aus den Räumen.

Bald wird des Nebels weiße Hand
ausbreiten sich auf Feld und Wiesen,
und Stürme streifen übers Land,
wo Herbst-Zeitlose munter sprießen.

(c) Brigitte Kemptner / Brühl
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Spaziergang im Herbst

Es zieht mich früh am Morgen schon
hinaus ins Sonnenlicht,
sein milder Schein fällt auf mein Haar
und lacht mir ins Gesicht.

Und als ich durch die Flure geh,
es ist zur Herbstes Zeit,
wird es mir gleich so sonderbar
und in der Seele weit.

Die Erd‘ vom Tau der Nacht getränkt,
geschwängert ist die Luft.
Ein Hauch von Abschied ist es wohl,
ein ganz besondrer Duft.

Ich wandre über feuchtes Laub,
sein Leben ist verbraucht.
Auch Sommerblumen haben längst
ihr Dasein ausgehaucht.
Ein Stoppelfeld in meinem Blick,
in Ballen türmt sich Stroh,
Ich geh vorbei und fühle mich
so frei und richtig froh.

Mein Weg mich hin zum Walde führt,
er lädt mich freundlich ein.
Komm, Wanderer, ich bitte dich,
bei mir zu Gast zu sein.

Ich folge gerne seinem Ruf
und finde tiefe Ruh,
Das bunte Laub fällt sanft herab
und deckt den Boden zu.

Dem Duft der Pilze geh ich nach,
weiß, wo die Wildbeern sind.
Hab sie zum letzten Mal gepflückt,
als ich noch war ein Kind.

In stiller Andacht lausch ich nun
dem letzten Vogellied,
und spüre, wie mit einem Mal
ins Herz die Wehmut zieht.

Durch bunte Zweige fällt wie Gold
das milde Sonnenlicht,
das sich im Waldesinnern gleich
in tausend Strahlen bricht.

Und als ich wieder heimwärts geh,
ziehn Schwalben über mir.
Sie fliehen vor der Winterzeit,
doch ich, ich bleibe hier.

(c) Brigitte Kemptner / Brühl
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Wehmut

Herbstlaub liegt jetzt auf der Straße,
die braunen Blätter fallen sacht.
Die letzten Rosen in der Vase
sie leuchten gelb in ihrer Pracht.

Bald werden raue Winde wehen,
und Drachen steigen hoch hinaus.
Durch Nebel kann man wenig sehen,
die Kälte hält uns jetzt im Haus.

Oft wird die Sonne sich verstecken
wohl hinter einer Wolkenbank.
Viel Regen wird die Welt bedecken,
das Wetter macht so viele krank.

Noch einmal geh‘ ich in den Garten,
bald sieht hier alles düster aus.
Und bis zum Frühjahr muss ich warten,
dann treiben wieder Knospen aus.

(c) Brigitte Kemptner / Brühl
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Kinderaugen

Es liegt in Kinderaugen
Sorglosigkeit im Blick.
Sie glauben an das Gute,
an Liebe und an Glück.

Sie kennen kaum das Leben,
was böse ist und gut.
Sie brauchen sehr viel Liebe,
die sanft in ihnen ruht.

Sie schauen voller Wärme
uns bis ins Herz hinein,
Das Leuchten dieser Augen
kann wie ein Wunder sein.

Blick ich in Kinderaugen,
da wird mir eines klar:
sie sind so einzigartig
und auch so wunderbar.

(c) Brigitte Kemptner / Brühl
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Weihnachtszeit

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Adventzeit

Weihnachtsduft steigt in die Nase,
ein Hauch von Nüssen, Mandeln fein.
Tannenzweige in der Vase,
dazu verzaubert Kerzenschein.
Den Teig geknetet mit den Händen,
die Kinder stechen Plätzchen aus.
Bunter Schmuck hängt an den Wänden,
Ein Wohlgeruch im ganzen Haus.
Der Ofen macht jetzt Überstunden,
backt Zimtsterne und Marzipan.
Die feinen Lebkuchen, die runden
und Spritzgebäck – allem voran.
Am Abend sitzt man hin und wieder
In trauter Runde, froh gestimmt.
Singt mit den Kindern Weihnachtslieder,
wenn im Kamin das Feuer glimmt.
(c) Brigitte Kemptner / Brühl
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Tannenbaum

Ein echter Tannenbaum muss sein,
zur schönen Weihnachtszeit.
Mit Kerzen, Kugeln golden fein
und mancher Süßigkeit.

Mit hübschen Sternen, die aus Stroh
ich liebevoll gemacht,
Das Schmücken stimmt mich richtig froh,
und ein zur heil’gen Nacht.

Die Krönung ist die Spitze, gold,
die auf der Tanne blinkt.
Und ist das Christkind uns gar hold,
das Zauberglöckchen klingt.

Dann liegen unterm Tannenbaum,
o meiner Seele Zier,
der kleinen Kinder großer Traum
verpackt in Glanzpapier.

Ein leises Raunen füllt den Raum,
getaucht in Kerzenschein.
Und vor dem schönsten Tannenbaum
zieht Weihnacht bei uns ein.

(c) Brigitte Kemptner / Brühl
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Vorweihnachtszeit

Advent, die schönste Zeit im Jahr,
doch ist das wirklich heut noch wahr?
Vom Frieden spricht man weit und breit,
doch wer von uns hat denn noch Zeit?

Sind Fenster, Straßen bunt geschmückt,
weil Weihnacht immer näher rückt,
dann haste ich durch volle Gassen,
und zwänge mich durch Menschenmassen.

Ich werd‘ geschupst im Weihnachtsrummel,
komm kaum vorwärts in dem Getümmel.
Der Angebote gibt’s gar Viele,
vom Püppchen bis zum Videospiele.

Von Kleidermassen kaum zu schweigen,
worüber sich die Häupter neigen.
Anstatt durch die Geschäfte flitzen,
könnt‘ friedlich vorm Kamin ich sitzen,

Advent, wie könnt er ruhig sein,
kauft man Beizeit Geschenke ein.
Dann hätt mit Ruhe und Bedacht,
ich jedem etwas mitgebracht.

Denn will ich an die Lieben denken,
muss ich nicht etwas Großes schenken.
Doch jedes Jahr – gleiche Tortour,
was kauf ich meinen Menschen nur?

Gestresst tret ich den Heimweg an,
dort wartet – ausgeruht – mein Mann.
Ich hab Computer doch Zuhaus,
such nun mit Ruh‘ Geschenke aus.

(c) Brigitte Kemptner / Brühl
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Weihnachtsmarkt

Der Weihnachtsmarkt im Lichterschein,
ein Flair weht durch die engen Gassen,
Anis und Mandeln duften fein,
es dampft der Glühwein in den Tassen.

Welch Wohlgeruch schwebt in der Luft,
ein Hauch von Zimt und Koriander.
Von anderswo dringt Bratenduft,
es ist das reinste Durcheinander.

Geschmückte Hütten, groß und klein,
die rechts und links der Gassen stehen,
die stimmen zum Verweilen ein,
doch einige zum Weitergehen.

Mein Aug erfasst so mancherlei,
Geschirr, auch Spielzeug für die Kinder,
Textilien, Taschen, Bastelei,
Gestricktes für den kalten Winter.

Aus Holz, aus Glas und Porzellan
gibt es die allerschönsten Sachen,
Doch Schokolade, Marzipan
Den Kindern große Freude machen.

Keramikhäuser, Christbaumschmuck,
auch Weihnachtskrippen und Figuren,
gerahmte Bilder, Schals mit Druck
und goldne Ketten, Armbanduhren.

Ob Essen, Trinken, Spielerei,
ob Dekosachen, Kerzen, Taschen,
für jeden ist etwas dabei,
zum Hören, Fühlen, Kaufen, Naschen.

In froher Stimmung geh ich heim,
entferne mich den Menschenmassen.
Dem Weihnachtsmarkt im Lichterschein,
dem Flair, der weht durch enge Gassen,

(c) Brigitte Kemptner / Brühl
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Prosatexte

Alexandras Weg

Krachend fiel die schwere Eichentür hinter Alexandra ins Schloss. “Jetzt nur nicht umdrehen”, dachte sie. “Dieses Kapitel deines Lebens ist ein für allemal vorüber.” Sie konnte es dennoch nicht verhindern, dass sich mit der Erleichterung auch Wehmut vermischte. Immerhin hatte sie hier mit Jochen, ihrem Noch-Ehemann, viele gemeinsame Jahre ihres Lebens verbracht. Hier in diesem Haus steckte eine Menge Liebe und Herzblut, Arbeit, Freude, aber auch viele Tränen, die sie heimlich geweint hatte. Bitterkeit stieg in ihr hoch, als sie gerade an diese letzten Jahre dachte.
Mit jedem Schritt, den Alexandra sich weiter vom Haus entfernte, wollte sie auch den Abstand zwischen sich und der Vergangenheit vergrößern. Hätten sich nicht noch einige Dokumente von Jochen zwischen ihren Unterlagen befunden, wäre sie gar nicht erst auf die Idee gekommen, bei ihm vorbeizufahren.
An ihrem Auto angekommen, stieg sie rasch ein und fuhr davon. Sie verließ den regen Innenstadtverkehr, und als sie in eine verkehrsarme Gegend kam, hielt sie am Straßenrande an. Ihre Hände umfassten das Lenkrad plötzlich so fest, dass die Knöchel spitz hervortraten. “Verdammter Kerl, warum musste alles so kommen?”, presste sie zwischen den Lippen hervor, und sie hätte ihm diese Worte vorhin am liebsten ins Gesicht geschleudert, bevor sie gegangen war. Sie fühlte sich um die schönsten Jahre ihres Lebens betrogen und bis ins Innerste verletzt. So sah nun das Ende einer langjährigen Ehe aus. Sie atmete tief durch, und allmählich entspannte sie sich etwas. Viele Jahre hatte das “Sterben” dieser Gemeinschaft und ihrer Liebe gedauert, und immer mit einem Fünkchen Hoffnung begleitet, es würde sich alles wieder zum Besten wenden.
“Warum klammerst du dich an diese Ehe?”, hatte ihre Freundin Carmen, ein überzeugter Single, sie häufig gefragt. “Du weißt doch längst, dass es vorbei ist.”
Gabi, eine andere Freundin, hatte genau ihren wunden Punkt getroffen: “Du hast nur Angst vor dem Alleinsein, Alex, sonst wärst du längst gegangen.”
Und Gabi hatte Recht, sie war nicht geboren zum Alleinsein. Die beiden Frauen hatten darüber lange diskutiert. Alexandra jedoch keinen Mut gehabt, aus dieser Ehe letztendlich die Konsequenzen zu ziehen.
Alexandra drehte den Zündschlüssel um und fuhr weiter. Eine Viertelstunde später erreichte sie den Häuserblock, in dem sie sich eine Wohnung gemietet hatte. Seit vierzehn Tagen wohnte sie nun hier. Jochen war aus allen Wolken gefallen, als sie ihn mit ihrem bevorstehenden Auszug vor vollendete Tatsachen gestellt hatte. Sie sah seinen ungläubigen Gesichtsausdruck vor sich. Dachte er denn wirklich, dass sie dieses Leben so weiterführen würde? Er nahm doch von ihr kaum noch Notiz und hatte nicht einmal bemerkt, dass sein Verhalten sie krank machte, sie innerlich vereinsamen ließ. Sie wollte sich von ihm nicht im Bösen trennen, aber es musste sein, um ihren inneren Seelenfrieden wieder zu finden…
Als Alexandra Jochen kennen lernte, war sie 19 Jahre alt gewesen, romantisch und hatte den Kopf voller Träume gehabt. Sie glaubte sich am Ziel ihrer Wünsche und war zum ersten Mal verliebt. Sie zogen zusammen und heirateten bald darauf.
Alexandra arbeitete als Sekretärin, Jochen bei einer Versicherung. Da sie beide gut verdienten, konnten sie sich bald ein Eigenheim bauen.
Die junge Frau war von der ersten Stunde an mit dem Herzen bei der Sache gewesen: Angefangen von der Planung bis hin zur Einrichtung. Sie hängte jede freie Minute in den Feierabendstunden und auch an den Wochenenden in das Haus. War mit Feuereifer und mit Liebe dabei, alles so schön wie nur irgend möglich zu gestalten. Noch bevor der Rohbau überhaupt begonnen wurde, versicherte ihr Jochen: “Wir wollen alles gemeinsam machen.” Doch die meiste Arbeit lastete auf ihren schmalen Schultern. Sie kümmerte sich darum, dass die Handwerker, die Installateure, die Maler und Elektriker alles zu ihrer Zufriedenheit herrichteten und um die zahlreichen Rechnungen, die pünktlich bezahlt werden wollten.
“Kommst du heute nach Büroschluss mit zum Grundstück?”, fragte sie ihn des Öfteren, und wusste doch schon die Antwort im Voraus: “Ich hab noch zu tun, Schatz. Aber du machst das alles doch viel besser, bist das geborene Organisationstalent.” Danach drückte er ihr einen Kuss auf die Wange und verschwand in seiner Büroecke, die er sich im Wohnzimmer eingerichtet hatte.
Er liebte seine Arbeit über alles und brachte sich davon immer reichlich mit nach Hause, um auch noch am Feierabend am Schreibtisch zu sitzen.
“Wenn wir erst in unserem neuen Heim wohnen, wird es bestimmt anders”, versuchte sie sich selbst einzureden. In der ersten Zeit nach dem Einzug schien es auch so, doch das war leider nur von kurzer Dauer.
Im Haus besaß Jochen nun sein “eigenes” Büro, in dem er viel Zeit verbrachte.
Gemeinsamkeiten wurden immer mehr zur Seltenheit, und Alexandra stellte erschreckend fest, dass auch seine Aufmerksamkeit ihr gegenüber stark nachgelassen hatte. Er nahm sie plötzlich kaum noch zur Kenntnis. Dass das Haus blitzblank geputzt war, täglich gutes Essen auf den Tisch kam, und dazu noch ein achtstündiger Arbeitstag hinter ihr lag, entlockte ihm keinerlei Lob und Anerkennung mehr, wie noch ganz am Anfang. All das prallte offensichtlich an ihm ab. Sie fühlte sich immer einsamer und ihre Seele litt darunter so stark, dass sie sogar an Gewicht verlor. Irgendwie rappelte sie sich wieder auf, das Leben musste ja weitergehen. Und noch hoffte sie, dass er sich ändern würde.
Eines Tages eröffnete Jochen Alexandra, dass er berufsbedingt zukünftig auch Außendienst machen musste. Bislang hatte er überwiegend Bürotätigkeiten verrichtet. Nun geschah es öfter, dass er sogar für einige Tage nicht nach Hause kam. Wie froh war sie in der Folgezeit gewesen, wenigstens ihre Arbeit zu haben, liebe Freundinnen und Kolleginnen. Mit Jochen lebte sie doch nur noch ein Nebeneinander.
Alexandra erinnerte sich an eine Gegebenheit besonders: Es war an einem ihrer letzten Geburtstage. Dazu hatte sie Freunde und Bekannte, darunter auch Mark, einen Kollegen, eingeladen. Mark war an diesem Abend besonders nett zu ihr gewesen, aufmerksam und zuvorkommend. Eigenschaften, die von Jochen schon seit langer Zeit nicht mehr zum Tragen kamen. Später, als die Gäste wieder gegangen waren, brach er einen Streit vom Zaun, bei dem die junge Frau nur staunen konnte. Er tat ja gerade so, als hätte sie ihn betrogen!
In den nächsten Tagen zeigte er sich launisch und sprach mit ihr kein Wort. Dann plötzlich schlug sein Verhalten ins krasse Gegenteil um: Er schenkte ihr plötzlich wieder mehr Aufmerksamkeit, und für eine kurze Zeit glaubte Alexandra, Jochen würde ihre Anwesenheit wieder wahrnehmen. Lange dauerte es allerdings nicht, bis er wieder in seinen alten Trott verfiel.
Eines Tages erfuhr sie dann durch Zufall, dass er sie betrog. Auf ihre Reaktion hin meinte er nur: “Das hat doch nichts mit uns zu tun, bedeutet nichts. Glaube mir, ich liebe nur dich, auch wenn ich es dich in letzter Zeit kaum habe fühlen lassen.” Das haute Alexandra glatt um, merkte er denn gar nicht, wie lächerlich er sich machte? Und von Liebe war schon lange nicht mehr gesprochen worden. Sie hätte nicht einmal mehr sagen können, wann er ihr zum letzten Male Ich liebe dich gesagt hatte. Außer gerade im Moment, doch das glaubte sie ihm nicht.
“Warum bleibe ich eigentlich bei ihm?”, fragte sich Alexandra in der folgenden Zeit und verstand sich oft selbst nicht so ganz. Sie erinnerte sich an das Versprechen, das sie sich beide in der Kirche gegeben hatten, damals. Und für sie war dieser Schwur immer etwas Heiliges gewesen, etwas, das man nicht so leicht brach. Jochen war niemals handgreiflich ihr gegenüber geworden, das musste sie zugeben, doch die Schmerzen, die er ihr zufügte, hatten innerlich große Wunden geschlagen. Eines Tages brachte sie sogar in Erfahrung, dass er übers Internet mit anderen Frauen Kontakt aufnahm. Alexandra verlor nach und nach das Vertrauen in die Liebe und es blieben nur noch leere Träume und Illusionen übrig.
Ihre Freundinnen rieten ihr ständig, sich endlich von Jochen zu trennen, denn wenn sie so weiterlebte, würde sie bald in einer Nervenklinik enden. “Hör auf mich”, sagte Carmen. “Du gefällst mir seit langer Zeit nicht mehr, und du hast es nicht verdient, vor die Hunde zu gehen.”
Carmen hatte ja Recht, aber es war nicht so einfach, einen Schlussstrich zu ziehen. Es sollten noch mehrere Monate vergehen, bis sie sich endlich selbst einen Ruck gab und den entscheidenden Schritt tat. Von ihrem Arbeitsplatz aus suchte sie sich eine Wohnung und hatte auch schon nach vierzehn Tagen Glück.
Sie entschied sich spontan für die erste der vier ihr angebotenen Wohnungen. Eine kleine Einbauküche war bereits vorhanden, und von Gabi bekam sie das ein oder andere, gut erhaltene Möbelstück. Was sie sonst noch benötigte, würde sie sich nach und nach kaufen. Jochen versuchte vehement, sie von ihrem Auszug abzubringen, jedoch ohne Erfolg. Sie blieb standhaft.
Außer ihren persönlichen Dingen nahm sie nichts mit. Jochen sollte das Haus behalten, sie stellte an ihn keinerlei Ansprüche. Sie hatte sich im Laufe der Jahre Geld zusammen gespart, verdiente zudem gut, und würde keine Not leiden. Es sollte nichts geben, das sie an Jochen und die ungeliebten Jahre erinnerte.
In den ersten Wochen nach der Trennung vergrub sie sich in ihrer Arbeit und machte sogar Überstunden. Oft rief anfangs Jochen sogar im Büro an, bat sie, wieder zurück zu kommen. Er wolle sich ändern und versuchen, nur noch für sie da zu sein. Alexandra glaubte weder an das eine, noch an das andere.
Die Wochenenden in der neuen Wohnung waren besonders einsam, obwohl sie vorher, als sie noch bei Jochen lebte, auch diese arbeitsfreien Tage allein verbringen musste. Ablenkung boten ihr die Freundinnen und Kollegen.
Carmen war es zu verdanken, dass sie allmählich wieder etwas Freude am Leben fand. Die zwei Frauen gingen oft ins Kino, machten einen Stadtbummel oder saßen einfach nur zu Hause, hörten Musik und redeten miteinander. Ab und zu war auch Gabi dabei, doch sie hatte eine Familie und deshalb weniger Zeit. So vergingen wieder Wochen und eines Tages lud Carmen sie zu einer Singleparty ein. Alexandra hatte dafür wenig Begeisterung übrig, doch ihre Freundin gab nicht auf.
“Was soll ich dort?”, fragte sie. “Ich habe keine Lust auf eine neue Bekanntschaft.”
“Hat das etwa jemand gesagt?”, fragte Carmen und zwinkerte Alexandra zu. “Du sollst nur auf andere Gedanken kommen und ein bisschen Spaß haben, mehr nicht.” Mit gemischten Gefühlen ging sie mit der Freundin zu dieser Party, die sie allerdings schon nach einer knappen Stunde wieder verließ. Sie hoffte nur, dass Carmen über ihre “Flucht” nicht böse war. Draußen blieb sie erst einmal eine Weile stehen und holte tief Atem.
“Es hat Ihnen da drinnen auch nicht gefallen, stimmts?”, fragte plötzlich eine fremde Männerstimme neben ihr. Alexandra erschrak etwas und wandte sich um. Im Schein der Straßenlaterne sah sie sich einem gutaussehenden Mann gegenüber, der sie freundlich anlächelte. “Ich habe Sie auf der Party schon beobachtet. In der Regel mag ich diese Partys ja nicht, bin nur einem Freund zuliebe mitgekommen.”
“Dann geht es Ihnen wie mir. Meine Freundin schleppte mich auch mit. Sie meinte es ja nur gut und wollte, dass ich endlich auf andere Gedanken komme.”
“Dann haben wir ja schon etwas gemeinsam”, er lächelte erneut. “Hätten Sie nicht Lust, mit mir in das kleine Weinlokal zu kommen, gleich da vorne an der Ecke?”, fragte er. Obwohl von ihm eine wohltuende Wärme und Ruhe ausging, lehnte sie seine Einladung dankend ab. Er versuchte gar nicht erst, sie zu überreden, bat sie aber um ein Wiedersehen am nächsten Tag, einem Samstag. Als Treffpunkt schlug er den “Adler” vor, ein kleinen Feinschmeckerlokal. So gegen 18 Uhr. Sie willigte ein.
Er hieß Daniel Roth, und nachdem auch Alexandra sich vorgestellt hatte, ging jeder seiner Wege.
Carmen war am nächsten Tag schon etwas pikiert, als sie so gegen Mittag bei Alexandra aufkreuzte. Sie konnte die Freundin zwar schnell besänftigen, doch von Daniel Roth und dem Abendessen mit ihm wollte sie vorläufig noch nichts erzählen. Carmen schwärmte noch ein wenig von der Party und machte sich auf den Heimweg. Sie hatte für den Abend eine Verabredung.
Alexandra und Daniel Roth trafen zum vereinbarten Zeitpunkt fast gleichzeitig im “Adler” ein, und sie bekamen einen schönen Tisch auf der Gartenterrasse. Sie schienen sich beide genau zu beobachten. Er sah mit seinem Bart sehr gepflegt aus, und seine traurig blickenden Augen, in die sie wie in einen Spiegel sehen konnte, sprachen sie sogleich an. Etwas Vertrautes ging von ihm aus, sodass Alexandra das Gefühl hatte, ihn schon lange zu kennen.
Nachdem der Kellner ihnen die Getränke gebracht und die Bestellung fürs Essen aufgenommen hatte, begann er wie selbstverständlich ein wenig von sich zu erzählen. So erfuhr Alexandra, dass er von seiner Frau getrennt lebe und gerade damit begonnen hatte, wieder etwas Farbe in sein Dasein zu bringen.
Wir sind uns sehr ähnlich, dachte sie, als er kurz die Lieblosigkeit in seiner Ehe ansprach.
Sie saßen lange beisammen und unterhielten sich über viele Dinge. Immer wieder stellte sie Gemeinsamkeiten fest. Mit Jochen hatte sie sich niemals so unterhalten können, nicht einmal in der Zeit, als ihre Ehe noch in Ordnung war. Daniel gab ihr ein Gefühl der Sicherheit, es war ihm wichtig, was sie fühlte, und sie genoss die Stunden in seiner Gesellschaft. Sie nahm auch seine Einladung für den nächsten Tag, mit ihm einfach ins Grüne zu fahren, an.
Von nun an trafen sie sich sooft es ihre Zeit erlaubte. Obwohl Alexandra längst wusste, dass sie ihn mehr liebte, als sie Jochen jemals geliebt hatte, blieb sie anfänglich noch zurückhaltend. Die Jahre ihrer Ehe steckten noch zu tief in ihr, sie war vorsichtig geworden und übersensibel. Daniel hatte Ähnliches in seiner Beziehung durchlebt, und nicht nur das verband sie letztendlich miteinander, machte sie zu Seelenverwandte.
Als Daniel ihr eines Tages seine Liebe gestand, war Alexandra die glücklichste Frau der Welt. Und sollte man ihrem jungen Glück auch noch so viele Steine in den Weg legen, sie Beide würden sich selbst damit noch eine Zukunft aufbauen. Das schwuren sie sich.
(c) Brigitte Kemptner / Brühl
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Eine kleine Liebesgeschichte (Lesung)

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Hoehenflug

Ich musste siebenunddreißig Jahre alt werden, um mich zum ersten Mal in meinem Leben so richtig zu verlieben. So mit Herzklopfen und allem Drum und Dran. Dabei war ich eher ein bodenständiger Mensch, der Höhenflüge bei anderen bisher immer belächelte.
Sie hieß Susanne, war gerade zweiundzwanzig und das schönste Mädchen, das mir bis zu diesem Augenblick begegnet war. Ich saß bei einem Schönheitswettbewerb in der Jury und als die vierzehn Teilnehmerinnen in ihren Bikinis auf die Bühne kamen, nein, herein schwebten, hatte ich nur noch Augen für die Zweite von links, die blonde Schönheit mit den langen Beinen und dem silberfarbenen Zweiteiler. Klar, dass sie von mir die höchste Punktzahl bekam und zu meiner großen Freude den Wettbewerb gewann.
Nach der Veranstaltung scharten sich die Reporter und Gratulanten um Susanne und ich ließ es mir nicht nehmen, sie ebenfalls zu beglückwünschen. Anschließend gab es noch eine kleine Feier, auf der ich meine “Miss Saarbrücken” nicht aus den Augen ließ, obwohl ich solchen Festen und Gesellschaften lieber aus dem Wege ging. Was ich mir nie hätte träumen lassen geschah: Auch Susanne schien großes Interesse an mir zu haben und suchte fortan meine Nähe. Ich wurde ihr ständiger Begleiter. Da ich gemeinsam mit meinem besten Freund Johannes eine kleine, aber gutgehende Computer- und Softwarefirma hatte, konnte ich mir diese Auszeit leisten.
In den nächsten Wochen ging es von einer Party zur anderen, von Fototermin zu Fototermin und ich beriet sie sogar bei der Wahl ihrer Garderobe. Ich kannte mich plötzlich selbst nicht mehr wieder und musste mir so manchen Spott von Freunden anhören.
“Die ist doch viel zu jung für dich, Marco”, meinte meine Schwester Gabi.
“Die nutzt dich nur aus, wirst es sehen”, sagte Johannes. “Lass dich von ihr nicht zum Hampelmann machen.”
Aber ich war so verliebt, dass mir der Blick für die Realität abhanden gekommen war.
Als Susanne einen Zeitvertrag bei einer Modelagentur bekam, freute ich mich mit ihr und wir verlobten uns endlich. Dann wurde sie unverhofft schwanger und der erste Schatten fiel auf unser Glück. Ich freute mich, Vater zu werden, doch sie zeigte wenig Begeisterung darüber, dass sie bald mit dickem Bauch herumlaufen würde. Sie sah ihre Karriere als Model gefährdet, denn es gefiel ihr gut, im Rampenlicht zu stehen. Wir heirateten früher als geplant, aber vorerst sollte niemand von der Schwangerschaft erfahren. Als Susannes Babybauch allmählich sichtbar wurde, war ihr Chef nicht gerade begeistert.
Susanne wurde immer dicker und sie fühlte sich plötzlich von einem Tag auf den anderen hässlich.
“Du bist für mich immer noch die Schönste”, beruhigte ich sie liebevoll und ehrlich. Ich wollte sie in den Arm nehmen, doch sie brach in Hysterie aus und stieß mich von sich.
“Du bist doch Schuld an allem. Warum hast du beim Sex nicht aufgepasst? Ich habe nie ein Kind gewollt. Model will ich werden, sonst nichts.”
Ich fiel bei diesem Gefühlsausbruch aus allen Wolken und vom siebten Himmel direkt auf den Boden der Tatsachen. Aber ich wollte nicht aufhören daran zu glauben, dass sich alles wieder einrenken würde, wenn erst das Kind da war. Schwangere, so meinte einmal meine Schwester, neigten oft zu hysterischen Ausbrüchen und Depressionen, das würde sich wieder legen.
Da Susanne das Angebot ihres Chefs, für Umstandsmode zu laufen, kategorisch ablehnte, blieb sie erst einmal zu Hause. Ich schlug ihr gemeinsame Ausflüge vor, doch sie schrie nur wütend: “Damit man mich so sieht? Das kannst du abhaken.”
Selbst eine Urlaubsreise nach Italien lehnte sie ab und bald wusste ich nicht mehr, womit, außer vielleicht einem kostbaren Schmuckstück, ich sie noch erfreuen konnte.
“Koch uns doch mal etwas Feines”, munterte ich sie einmal auf, um sie aus diesem Zustand herauszuholen. Doch sie lachte nur: “Kochen? Ich bin doch nicht deine Köchin und schon gar nicht dein Dienstmädchen.”
Wieder fügte sich ein Stich zu den bereits vorhandenen in meiner Brust und als ich eines Tages ihre Nörgelei und ihre steigende schlechte Laune nicht mehr ertragen konnte, war ich wieder öfter in der Firma. Machte freiwillig Übersunden.
“Du siehst nicht gut aus, Marco”, sagte Johannes eines Tages. “Aber ich habe dich ja vor dieser Beziehung gewarnt. Mädchen wie Susanne brauchen nur jemanden, der sie finanziell versorgt.”
“Sie hat doch auch schon gut verdient”, nahm ich meine Frau in Schutz. “Wenn erst das Kind da ist und sie wieder arbeiten kann, wird bestimmt alles so wie früher sein.”
Glaubte ich etwa selbst, was ich da eben von mir gab? Die Zeit verging, ohne dass sich etwas zwischen uns änderte. Im Gegenteil, Susanne begann plötzlich zu futtern, nicht nur das, was ich mühsam versucht hatte zu kochen, obwohl ich davon wenig verstand, sondern auch allerlei Ungesundes. Ich redete auf sie ein, an das Baby zu denken, doch sie lachte nur. Im fünften Monat besaß sie bereits einen Umfang wie im Achten. In der 36. Schwangerschaftswoche erlitt sie eine Totgeburt, über die ich mehr trauerte als sie selbst.
Nach dem Krankenhausaufenthalt begann Susanne, ihren Körper ausgiebig zu trainieren, um bald wieder auf dem Laufsteg stehen zu können. Sie hungerte und wurde dabei unausstehlicher denn je, weil es ihr zu lange dauerte, bis sie ihre einstige Figur wieder zurück erhielt. Mein ganzes Zureden, die Dinge langsam anzugehen, half nichts.
“Hättest du mich nicht geschwängert, wäre das alles nicht passiert.” Solche und andere, weit weniger freundliche Sätze musste ich mir in der nächsten Zeit anhören. Wo war meine Susanne? Wo war das hübsche, immer freundlich lächelnde Wesen, in das ich mich einst verliebt hatte? Ich hatte doch nur den einen Wunsch, so glücklich zu werden wie am Anfang, doch Susanne wurde mir immer fremder.
Als ihr Zeitvertrag nicht verlängert wurde und die Agenturen kein Interesse mehr an Susanne zeigten, war sie vorerst am Boden zerstört und tobte wie eine Wilde. Sie beruhigte sich allerdings rasch wieder und verbrachte fortan die Vormittage im Bett, die Nachmittage mit Freundinnen in der Stadt beim Shoppen und die Abende in Discos, Bars oder im Kino. Meist wurde es dann Mitternacht, bis sie nach Hause kam. Was ich auch zu ihrem plötzlichen Lebenswandel sagte, darüber lachte sie nur und sagte kalt:
“Das ist alles deine Schuld!”
Unser Zusammenleben wurde immer unerträglicher. Wir lebten nur noch nebeneinander her, taten nichts mehr gemeinsam außer zu streiten oder uns gegenseitig anzuschweigen. Als Susanne ihr Geld, das sie als Model verdient hatte, mit vollen Händen ausgegeben hatte, wandte sie sich an mich.
“Wenn du glaubst, ich finanziere dir dein ausschweifendes Leben, dann irrst du dich gewaltig”, hielt ich ihr vor.
“Wenn du dich schon nicht um den Haushalt kümmern willst, dann gehe wenigstens wieder arbeiten. Vielleicht hast du Glück und kannst in deinen ehemaligen Beruf zurück.”
“Nachdem ich es geschafft hatte, Schönheitskönigin zu werden, arbeite ich doch nicht wieder als Dekorateurin im Kaufhaus”, stieß sie verächtlich zwischen den Lippen hervor. Ich gab darauf keine Antwort und verließ das Zimmer.
“Du bist schließlich verpflichtet, mich zu versorgen”, brüllte sie noch hinter mir her.
Aber ich hatte meinen Höhenflug hinter mir und geblieben war nur ein Gefühl der Trauer und der Leere. Aber noch hielt ich an unserer Ehe fest, hoffte in einem kleinen Winkel meines Herzens, dass sich doch noch alles zum Guten wenden würde.
Ich ließ auf jeden Fall mein Konto sperren und überwies Susanne monatlich einen bestimmten Geldbetrag für private Dinge. Mit dem Ausgeben hatte sie keine Mühe und sie war schon zur Hälfte des Monats blank. Ich arbeitete viel, rauchte wieder, aß in der Eckkneipe das Tagesmenü und machte so manche Überstunden. An den Samstagen putzte ich die Wohnung und aß an den Wochenenden bei Gabi, da meine Frau sich ihre Zeit anderweitig vertrieb und erst spät nach Hause kam.
Irgendwann war mir der ganze Ärger auf den Magen geschlagen und mein Arzt riet mir, dringend mal auszuspannen, Urlaub zu machen.
Susanne reagierte anders, als ich erwartet hatte. Nicht gleichgültig, sondern eher entsetzt. Davon unbeeindruckt, setzte ich mich an meinen PC und begann mit der Suche nach einem geeigneten Urlaubsziel. Durch Zufall gelangte ich zu einem Bericht über den Schwarzwald unter anderem über einen 900-Seelenort namens “Langenbrand” eingebettet zwischen Tannenwäldern und dem Murgtal. Ich fühlte mich sofort von dieser Gegend angezogen und so stand mein Reiseziel fest.
Ich legte Susanne beim Abschied sogar zweihundert Euro zusätzlich auf den Küchenschrank und verließ am Samstagvormittag frohen Herzens Saarbrücken.
Ich fuhr bis zum Rhein, den ich bei Speyer überquerte und mich Richtrung Schwarzwald hielt.
Ich kam auf der Autobahn gut voran. Um die Mittagszeit war ich bereits an meinem Ziel angelangt.
Was für ein Unterschied, schoss es mir durch den Kopf, als ich die Dorfstraße entlang fuhr. Ein paar Kinder kamen mir auf ihren Fahrrädern entgegen und der ganze Stress und der Alltagstrott fielen von mir ab. Mühelos fand ich den “Blauen Anker”, in dem ich mir über Internet schon ein Zimmer hatte reservieren lassen. Herr Weiden, der Wirt des Gasthofes, empfing mich freundlich und brachte mich sogar persönlich auf mein Zimmer.
“Unsere Küche ist bis 14 Uhr geöffnet, falls Sie noch zu Mittag essen möchten. Abends dann ab 18 Uhr”, sagte er.
Da ich tatsächlich großen Hunger verspürte, wusch ich mir nur rasch die Hände und machte mich auf den Weg ins Speiselokal.
Das erste Mal seit langem aß ich wieder mit großem Appetit. Das Essen schmeckte köstlich und ich trank zur Feier des Tages einen trockenen Rotwein dazu. Später, als ich ausgepackt hatte, machte ich einen ausgiebigen Spaziergang durch das Dorf. Die Sonne schien von einem strahlend blauen Himmel und ich fühlte mich so unbeschwert wie schon seit einer Ewigkeit nicht mehr.
So vergingen die ersten Tage. Ich lernte die nähere Umgebung und einige Menschen kennen. Am Mittwoch besichtigte ich die Kirche des Ortes und wanderte weiter, bis ich an die Schule kam. Dort schienen die Kinder gerade Pause zu haben, denn sie spielten auf dem Hof Fußball. Ich schaute ihnen dabei zu und dachte plötzlich an Susanne und mein Kind, das nicht leben durfte. In einigen Jahren wäre es auch zur Schule gegangen und hätte sicher Fußball gespielt.
“Was machen Sie denn da?”, eine Frauenstimme riss mich aus meiner Versunkenheit, und ich drehte mich erschrocken um.
“Verschwinden Sie, sonst rufe ich die Polizei.” Sie meinte es ernst, das erkannte ich sofort an ihrem Gesichtsausdruck. Doch was ich nicht verstand, war ihr Verhalten mir gegenüber.
Da läutete es und die energische Dame wandte sich zum Gehen.
“Ich hoffe, Sie lassen sich hier nicht noch einmal blicken”, sagte sie und verschwand. Ich schüttelte den Kopf und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Sie hatte mich anscheinend für einen Sittenstrolch gehalten, der es auf kleine Kinder abgesehen hat. Da ich dies aber nicht auf mir sitzen lassen konnte, entschloss ich mich, die Sache aufzuklären.
“Marco!”, hörte ich da meinen Namen rufen, oder war gar nicht ich gemeint?
“Marco Kluge! Mensch Junge, bist du es wirklich?” Dann galt der Ruf also doch mir, und ich drehte mich um. Ein Mann, etwa in meinem Alter, kam auf mich zu. Ich erkannte in ihm Fred Winkler, mit dem ich zusammen die Schulbank gedrückt und das Abitur gemacht hatte. Während Fred anschließend Pädagogik studierte, absolvierte ich nur eine Lehre in der Elektronik. Der Kontakt zwischen uns riss ab und wir verloren uns aus den Augen. Ich traf irgendwann einmal seine Mutter, die mir erzählte, Fred würde als Lehrer in Stuttgart arbeiten, das musste schon gut zehn Jahre zurück liegen.
“Freddi, machst du etwa auch Urlaub?”, fragte ich verdutzt.
“Urlaub? Du bist gut. Ich lebe hier und bin seit einem Jahr der Schulleiter.”
Nun erzählte er mir in wenigen Sätzen, dass er vor längerer Zeit als Aushilfslehrer für sechs Monate an die hiesige Grundschule versetzt worden war. Damals verliebte er sich nicht nur in diese Gegend, sondern auch in die Frau seiner Träume. Kurzerhand stellte er Antrag auf Versetzung, und das wurde ihm auch genehmigt.
“Seitdem bin ich nun hier und habe es noch keinen Tag bereut.” Fred sah zur Uhr.
“Ich komme gerade von einer Gemeindeversammlung, jetzt habe ich in zehn Minuten eine Besprechung. Du musst mich entschuldigen, aber möchtest du nicht heute Abend zu uns auf ein Gläschen Wein kommen? Dann lernst du auch meine Miriam und unsere Zwillinge kennen.”
Ich nahm diese Einladung dankend an.
Fred nannte mir noch die Adresse und ging.
Im “Blauen Anker” aß ich, wie an jedem Tag, zu Mittag, und fuhr anschließend mit dem Auto in der wunderschönen Landschaft herum. Ich fühlte mich so wohl wie schon lange nicht mehr und vermisste weder Susanne noch den Rummel der Großstadt. Hier fand ich endlich Ruhe und Muse, einmal etwas für mich selbst zu tun. Zeit schien in dieser Umgebung eine ganz andere Bedeutung zu haben, und mir graute schon davor, am Sonntag zurück zu fahren.
Ich freute mich auf den Abend bei den Winklers und dachte plötzlich wieder an die kleine Szene vor dem Schultor. Sicherlich würde ich die energische Dame nicht nochmals treffen. Pünktlich um 19:00 Uhr klingelte ich an der Tür des hübschen, kleinen Reihenhauses. Frau Winkler öffnete.
“Sie sind sicher Marco, hab ich Recht?”, fragte sie freundlich.
“Ja, es freut mich, Freddis Frau kennen zu lernen.”
“Nennen Sie mich ruhig Miriam, Frau Winkler klingt irgendwie ungewohnt.” Sie lachte und gewann damit sofort meine Sympathie. Ich lernte auch noch Florian und Larissa, die Zwillinge kennen. Sie waren zwei Jahre alt und Miriam brachte sie kurz nach der Begrüßung ins Bett.
“Setz dich, alter Junge”, forderte mich Fred auf. “Ich bin wirklich froh, dich so unverhofft getroffen zu haben. Hast du noch Kontakt mit der Klasse?”
Ich nannte ihm ein paar Namen aus unsrem Jahrgang, die ich hin und wieder traf, es bestand jedoch kein Dauerkontakt. Das Telefon klingelte und Fred nahm ab. In diesem Augenblick läutete es auch an der Haustür.
“Öffnest du bitte, Marco, ist sicher Liliane, Miriams Schwester”, bat er mich, “Sie unterrichtet auch hier an der Schule.”
Ich machte die Haustür auf und glaubte, mein Herz setze aus. Draußen stand keine Geringere, als die energische Dame, die mich so unfreundlich vor dem Schultor zurechtgewiesen hatte. Ich glaube, sie war genauso erschrocken, wie ich.
Ein paar Sekunden standen wir uns stumm gegenüber, dann machte ich ihr Platz, damit sie eintreten konnte.
“Sie sind also Freds Schulfreund, den ich unbedingt kennen lernen soll”, sagte sie mit leiser Stimme. In diesem Moment kam Miriam die Treppe vom Obergeschoss herunter. Sie begrüßte ihre Schwester und machte uns miteinander bekannt. Die Verlegenheit zwischen Liliane und mir bemerkte sie zum Glück nicht. Wir setzten uns ins Wohnzimmer. Fred hatte sein Telefonat beendet und goss gerade Wein in vier Gläser. Dann reichte er jedem eines und wir prosteten uns zu.
In den nächsten zwei Stunden erzählte ich von meiner kleinen Computerfirma und natürlich auch, dass ich seit etwas über zwei Jahren verheiratet bin. Wie es allerdings um diese Ehe bestellt war, verschwieg ich. Auch Fred berichtete, was er in den letzten Jahren gemacht hatte. Die Frauen hörten uns aufmerksam zu.
“Warum ist Ihre Frau denn nicht mitgekommen?”, fragte Liliane so unverhofft, dass ich erst einmal gar nichts erwidern konnte. Dann sagte ich kurz:
“Sie hatte andere Pläne.”
Liliane schien sich mit dieser Antwort zufrieden zu geben und wir unterhielten uns nun über Belanglosigkeiten. Gegen halb Zwölf erhob ich mich.
“Es wird allmählich Zeit, aufzubrechen und ihr müsst morgen sicher früh aus den Federn. Ich habe den Abend sehr genossen und hoffe, wir können ihn noch einmal wiederholen, bevor ich Sonntag heimfahre.”
“Das machen wir bestimmt”, freute sich Fred und Miriam stimmte ihm zu.
“Für mich wird es auch Zeit.” Liliane hatte sich ebenfalls erhoben.
“Liliane ist zu Fuß gekommen, würdest du sie begleiten?”, fragte Fred und ich wollte.
Zuerst gingen wir einige Minuten schweigend nebeneinander her, dann meinte Liliane: “Ich sollte mich wohl für meine Reaktion heute Morgen entschuldigen. Aber Sie müssen zugeben, dass Sie sich sehr eigenartig vor dem Schulgebäude verhalten haben.”
“Ich habe den Kindern nur beim Fußballspielen zugeschaut, was ist daran verwerflich? Ist denn jeder, der das tut, schon ein Krimineller?”
“Natürlich nicht. Doch es geschehen so viel Verbrechen, hauptsächlich an Kindern und unsre Aufgabe ist es, sie davor zu schützen.”
In diesem Punkt stimmte ich Liliane zu.
Sie bewohnte eine kleine Zwei-Zimmerwohnung in einem 4-Familienhaus. Vor der Eingangstür wünschten wir uns eine gute Nacht.
“Wollen wir uns morgen nach Ihrem Unterricht treffen?”, fragte ich noch schnell, bevor sie im Hausflur verschwand. Ich hoffte auf eine Zusage.
“Was würde Ihre Frau dazu sagen?”, fragte sie überrascht.
“Darüber mache ich mir kaum Gedanken, zumal ich Sie ja lediglich um eine Verabredung bitte.”
“Ich habe um 13 Uhr Schulschluss. Wir könnten anschließend in einen kleinen Gasthof außerhalb des Dorfes zum Essen gehen. Aber nur, wenn es Ihnen Recht ist”, meinte sie zaghaft.
Mir gefiel der Vorschlag und wir verblieben so.
An diesem Abend schlief ich lange nicht ein, weil ich an meine Begegnung mit Liliane denken musste. Auch der gemeinsame Abend mit Fred und Miriam zog noch einmal in Gedanken an mir vorüber.
Hatte ich Liliane anfangs für etwas kühl gehalten, so musste ich diese Meinung in den letzten Tagen meines Urlaubs revidieren. Wir trafen uns so oft es möglich war, und am Samstagmittag lud Fred zum Grillen ein. Es war ein herrlicher Tag und ich konnte kaum glauben, dass meine Zeit dem Ende zuging. Die schönen Stunden bei den Winklers verstrichen leider viel zu schnell und dann nahte der Abschied.
“Schade, dass du morgen schon wieder nach Saarbrücken musst”, bedauerte Fred und Miriam meinte:
“Komm uns doch recht bald wieder einmal besuchen.”
Das versprach ich. Wir hatten uns alle auf das Du geeinigt.
Ich umarmte Miriam zum Abschied, klopfte Fred freundschaftlich auf die Schulter und machte mich mit Liliane auf den Heimweg. Wir schwiegen eine Weile, dann fragte ich zaghaft:
“Möchtest du auch, dass ich wiederkomme?”
“Es ist nicht meine Art, mich in eine Ehe einzumischen, Marco. Also ist es besser, wir sehen uns nicht wieder.”
“Ich wünsche es mir aber wirklich, Liliane, und meine Ehe..”, ich unterbrach meinen Satz und schwieg einen Moment,
“Das ist eine Sache, über die ich nicht reden möchte. Nun, willst du mich wieder sehen?” Ich wartete auf ihre Antwort.
Wir waren vor ihrer Wohnung stehen geblieben.
“Also gut, ich würde mich auch über ein Wiedersehen freuen. Bist du nun zufrieden?”
Ich nahm sie behutsam in den Arm und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange.
“Ja, Liliane. Ich komme wieder, darauf hast du mein Wort.”
Die folgende Zeit möchte ich gar nicht erst beschreiben. Alles lief so weiter, wie es vor meinem Kurzurlaub gewesen war. Susanne gab ihr großzügiges Taschengeld, das einer vierköpfigen Durchschnittsfamilie für den ganzen Monat gereicht hätte, mit vollen Händen aus und hatte nicht einmal ein schlechtes Gewissen dabei, selbst ihre Freundinnen anzupumpen. Auch der Gedanke, arbeiten zu gehen, gefiel ihr immer noch nicht.
Ich dachte sehr oft an Liliane, die hübsche Dorfschullehrerin. Sie gefiel mir recht gut, doch in meiner momentanen Situation an eine neue Liebe zu glauben, ließ die Enttäuschung mit Susanne nicht zu.
Von allen Seiten wurde ich bedrängt, mich endlich scheiden zu lassen. Schon vor meinem Kurzurlaub hatte ich daran gedacht, doch der letzte Anstoß war eine Rechnung. Sie flatterte etwa vier Wochen später auf meinen Schreibtisch im Büro und verschlug mir fast den Atem. Ich sollte an ein Versandhaus eine Summe in vierstelliger Höhe zahlen. Zuhause stellte ich Susanne umgehend zur Rede. Ich hielt ihr dabei die Rechnung vors Gesicht.
“Das Fass ist voll, Susanne. Diese Rechnung werde ich nicht zahlen, darauf kannst du dich verlassen.”
Sie brach sofort in Tränen aus und das waren ganz neue Töne. Die hätten mich noch vor einigen Monaten milde gestimmt, jetzt aber nicht mehr.
“Ich gebe dir monatlich tausend Euro. Wofür gibst du die aus? Du kaufst nichts für den Haushalt, keine Vorräte, also, was machst du mit all dem Geld Monat für Monat?”
Ich wartete nicht erst, bis sie mir irgendwelche Lügen auftischte, und ging in ihr Schlafzimmer – wir schliefen getrennt. Ich riss die Türen zu ihrem Kleiderschrank auf und fiel fast aus allen Wolken. Was sich mir bot, war kaum zu glauben. Der Schrank platzte bald aus den Nähten, und ich konnte mir nun diese hohe Rechnung erklären.
“Nun ist es endgültig genug, Susanne. Ich werde mich von dir scheiden lassen.”
“Dann tu’s doch. Unterhalt musst du mir sowieso zahlen und das nicht zu wenig”, lachte sie schrill und knallte die Schranktüren zu.
“Das werden wir ja sehen”, sagte ich mit ruhiger Stimme und wunderte mich, dass ich so gefasst war.
Nach drei Wochen waren die Würfel gefallen. Ich wollte Saarbrücken für immer den Rücken kehren und mich in Langenbrand nieder lassen. Mein Angebot, ihr vorerst die Wohnung zu überlassen, lehnte Susanne ab und fand bei einer Freundin Unterschlupf. Wenn sie allerdings geglaubt hatte, ich finanziere ihre Faulheit bis in alle Ewigkeit, sollte sie sich getäuscht haben. Zum Glück fand ich einen fähigen Anwalt, der für mich alles regelte, auch die vorläufige finanzielle Unterstützung für Susanne. Dann bot ich meine Firmenanteile zum Kauf an. Johannes nahm diese Entscheidung zwar zähneknirschend zur Kenntnis, doch er wollte mir keinerlei Steine in den Weg legen. Nach einer Woche stellte er mir einen Bekannten vor, der sich als seriöser Käufer entpuppte.
Alles ging erfreulicherweise gut voran. Nachdem ich mein Girokonto aufgelöst und das Geld aus dem Verkauf meines Firmenanteils auf ein Sparbuch eingezahlt hatte, hielt mich nichts mehr in Saarbrücken. Ich war nur von dem einen Gedanken beflügelt, so schnell wie nur möglich fort zu kommen. Auf die Scheidung konnte ich auch an meinem neuen Wohnort warten. Die genauere Anschrift würde ich meinem Anwalt mitteilen. Meine Eigentumswohnung behielt ich vorerst noch und hielt das Angebot, dass Susanne dort wohnen konnte, noch immer aufrecht.
Von Gabi und ihrer Familie fiel mir der Abschied schwerer, als ich gedacht hatte, doch wir wollten uns so oft besuchen, wie es ging.
Es war an einem frühen Sommerabend, als ich in meiner neu erwählten Heimat ankam. Bis ich eine Mietwohnung gefunden hatte, wollte ich im “Blauen Anker” wohnen. Ich überlegte, ob ich Fred und Miriam noch aufsuchen sollte, entschied mich aber dagegen. Stattdessen rief ich kurzerhand Liliane an, doch es war nur ihr Anrufbeantworter eingeschaltet.
Ich packte nur meinen kleinen Reisekoffer aus, weil ich gleich am nächsten Tag mit der Suche nach einer geeigneten Wohnung beginnen wollte. Im Lokal aß ich noch eine Kleinigkeit und setzte mich anschließend noch auf ein Bier in den gemütlichen Biergarten.
Am nächsten Morgen stand ich wie schon einmal vor dem hohen Zaun der Grundschule und beobachtete die Kinder beim Spielen. Jemand berührte von hinten meine Schulter und eine Stimme sagte:
“Ich glaube, ich habe Sie schon einmal verwarnt.”
Doch diesmal klangen die Worte nicht unfreundlich, sondern wurden von einem Lachen begleitet. Ich drehte mich um.
“Du hast gewusst, dass ich es bin?”, fragte ich verwundert und sie lächelte wieder.
“Ja Marco, ich habe dich schon von weitem erkannt. Wieder im Urlaub?”
“Nein, das heißt so lange, bis ich hier eine Arbeit gefunden habe.”
“Das musst du mir näher erklären”, erwiderte sie. “Doch jetzt muss ich zum Unterricht. Holst du mich gegen 13 Uhr ab?”
Das versprach ich ihr gerne.
Die Monate vergingen und bald war ich ein halbes Jahr in Langenbrand, erlebte mit Liliane, Fred, Miriam und den Zwillingen meinen ersten Winter im Schwarzwald. Kurz vor Weihnachten war ich in meine neue Wohnung gezogen und meine Arbeit in der Nachbargemeinde machte mir viel Spaß.
Ich war zwar noch immer nicht von Susanne geschieden, doch froh darüber, dass sie wenigstens eine Arbeit angenommen hatte, wie mir mein Anwalt mitteilte.
Als wir an einem kalten Wintertag, Ende Januar, durch den Schnee stapften, fragte mich Liliane, die mittlerweile die ganze traurige Geschichte von Susanne und mir kannte: “Bereust du es, hierher gezogen zu sein?”
“Nein”, antwortete ich mit fester Stimme. “Hier möchte ich den Rest meines Lebens verbringen.”
“Hier auf dem Land? Wo du doch das Stadtleben gewohnt bist.”
“Klingt das so unwahrscheinlich? Schon bei meinem ersten Besuch habe ich mich in diese Idylle verliebt. Du traust einem Mann wohl keine Romantik zu, oder?”
“Doch”, lachte Liliane. “Ich freue mich, dass du so empfindest.”
Ich drückte ihre Hand und war ganz einfach nur glücklich. Mir ging es gut und meinem Magen auch. Als ein paar Kinder mit ihrem Schlitten an uns vorbei fuhren, dachte ich einen Moment lang daran, dass ich fast Vater geworden wäre. Aber wer weiß? Noch war ich nicht zu alt für eine solche Rolle. Ich wollte nichts überstürzen, und Liliane verstand das. Sie drängt mich auch nicht, mit ihr zusammen zu ziehen, obwohl ich öfter bei ihr übernachtete als in meiner Wohnung. Ich war gerne in ihrer Gesellschaft und wusste längst, dass sie mich liebte, aber den endgültigen Schritt brachte ich noch nicht über mich. Enes Tages, da war ich mir sicher, würde ich ihr meine Liebe gestehen können, doch so, wie es jetzt zwischen uns lief, war es vollkommen in Ordnung.
(c) Brigitte Kemptner / Brühl
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In der Stille der Nacht

Der Hof lag im Schein des Vollmondes friedlich da. Alles schien zu schlafen, Vater, Mutter, Oma Grete und die alte Lina, die das beste Essen weit und breit kochen konnte. Auch Jakob, der Mischlingshund schlummerte in seinem Körbchen und an ihn gekuschelt die schon recht alte Katze Susi.
Der kleine Junge warf einen letzten Blick auf die Beiden und ein Seufzer hob und senkte seine Brust. Er würde sie vermissen.
Dann sah er wieder hinaus auf den Hof, ging zu seinem Bett, bückte sich und kramte den Rucksack darunter hervor. Er hatte ihn schon am Mittag gepackt, als alle noch beschäftigt waren. Später versteckte er ihn, damit die Mutter nichts sah, wenn sie ihm eine gute Nacht wünschte. Vielleicht hätte sie ihn ja nicht einmal bemerkt, so wie sie ihn, Jonas, seit einiger Zeit nicht mehr recht wahrzunehmen schien. Und wer würde ihn schon vermissen, wenn er jetzt ginge? Ein paar Tränen kullerten ihm über die Wangen.
Mondlicht begleitete ihn auch noch, als er sich fort schlich. Er schaute nicht zurück, sonst würde er doch nur weinen müssen. Und vielleicht konnten die Erwachsenen vergessen, wenn ER nicht mehr da war, wenn sie IHN nicht ständig sehen mussten. Er hatte erst vor ein paar Tagen gelauscht, als Oma Grete Jessica erwähnt hatte, und Lina, die gerade wieder etwas Leckeres kochte, meinte, dass die Eltern ja täglich durch Jonas Anwesenheit an das schreckliche Unglück erinnert würden.
Jonas ging tapfer weiter und unterdrückte seine Angst, die ihn bei seinem nächtlichen Ausflug beschlich. Warum waren alle böse mit ihm? Er hatte das, was geschehen war, nicht gewollt. Er liebte sein Schwesterchen doch auch, zugegeben, ein wenig eifersüchtig, das war er schon. Aber warum hatte Mutti nicht selbst auf sie aufgepasst?
“Du bist unser großer Junge”, pflegte sie zu sagen “gib brav auf unser Engelchen Acht.” Bei diesen Worten streichelte sie ihm bloß über das weizenblonde Haar, dann beugte sie sich über Jessica, um sie zu küssen.
Er hatte immer gut aufgepasst bis auf den Sommertag vor ein paar Wochen. Ganz in der Nähe des Elternhauses war ein kleiner See, in dem er schon oft mit den Eltern gebadet hatte, auch Jessica war dabei gewesen, doch an diesem Tag – er musste wieder einmal aufpassen – ging er alleine mit ihr dort hin. Er hatte der Dreijährigen ganz ernsthaft erklärt, und die Rolle als Aufpasser auch sehr ernst genommen, dass sie nur am Rande ins Wasser gehen dürfe. Sie hatte den Rat des großen Bruders auch befolgt – nur kurz. Jonas wurde plötzlich durch laute Rufe abgelenkt. Es war Thomas, sein Freund, der auf ihn zueilte. Als sich beide umschauten in Richtung See erschrak Jonas fürchterlich, denn er sah plötzlich nur noch das blonde Lockenköpfchen seiner Schwester, wie es im Wasser verschwand.
Die nun folgende Zeit war schrecklich. Jonas kam sich wie ein Ausgestoßener vor. Ihm fehlte Jessica doch auch, die nun schwer krank in der Klinik lag und schlief, Koma – was immer das auch war – nannten sie es.
“Die Ärzte wissen nicht, ob sie jemals wieder aufwacht”, hatte die Mutter ihm gesagt und dabei geweint. Und alle behandelten ihn wie einen Bösewicht. Alles schien sich nur noch um die arme Jessica zu drehen. Mama war nun ständig traurig, weinte, wenn sie glaubte, dass niemand es sah. Oma Grete ging jetzt auch sehr oft mit ihr ins Krankenhaus. Jonas allerdings durfte niemals mit.
Er hörte noch genau Papas Worte in seinem Ohr:
“Warum hast du nicht aufgepasst, wie man es von dir verlangte?” Dabei war er doch erst Sieben und brauchte hin und wieder auch noch jemanden, der auf IHN aufpasste….
Sein Weg führte ihn vorbei an dem Ort des Geschehens und er blieb stehen. Das Licht des Mondes spiegelte sich im Wasser und Jonas starrte auf den Fleck, an dem Jessica fast ertrunken wäre. Für einen Moment glaubte er, einen hellen Lockenkopf zu sehen und lief so schnell er konnte weiter. Irgendwann machte er eine Pause und hockte sich bei einem dicken Apfelbaum auf den harten Boden, den Rücken gegen den Stamm gelehnt. Es war still um ihn herum, nur das Schreien einer Eule war ab und zu hören. So grübelte er vor sich hin und stand erst wieder auf, als es in der Ferne hell wurde. Langsam ging Jonas dem Sonnenaufgang entgegen. Er wollte einfach nur weit weg von zu Hause, wo er landete war ihm egal.
Er steckte die Hände in seine Jackentasche. Gott sei dank! Seine Geldbörse war noch da. Er atmete auf, denn in ihr steckte sein ganzes Vermögen, ganze 16,50 Euro. Jetzt hatte er Hunger, doch weit und breit war nichts zu sehen außer der Straße und Feldern.
Immer weiter trugen ihn seine mittlerweile müden Füße, bis er am Mittag erschöpft am Waldrand ankam. Dort sank er im Schatten eines Baumes auf den Boden und schlief ein.
“He, du, aufwachen!” Was war das? Jonas öffnete die Augen und sah drei Jungen vor sich stehen, die etwas seltsam angezogen waren. Einer gab ihm einen leichten Tritt gegen das Bein.
“Faulpelz, los, steh auf!” Wieder war es dieselbe Stimme. Als Jonas sich erhoben hatte, musste er mit ansehen, wie die Jungs im nächsten Moment den ganzen Inhalt seines Rucksacks auf den Boden kippten.
“Los, wir wollen wissen, was du in deinen Taschen hast.”
Sie waren größer, älter und stärker als er. Sie hatten ihm sein ganzes Geld und noch ein paar Kleidungsstücke genommen, gaben ihm, bevor sie gingen, einen Stoß, dass er hinfiel, lachten und verschwanden. Dicke Tränen kullerten über Jonas Wangen, als er den Rest seiner Habseligkeiten einräumte und sich wieder auf den Weg machte. Geraume Zeit später kam er zu einer Wiese, auf der sehr viele Wohnwagen standen. Von Oma Grete wusste er, dass Zigeuner so wohnten; allerdings immer nur für “kurz”, da sie ständig weiter zogen, weshalb sie auch “Fahrendes Volk” genannt wurden. Er ging näher, erblickte auch sogleich zwei von den Dieben, die ihm sein Geld gestohlen hatten.
Jonas ging zielstrebig zu einem älteren Mann, der in der Nähe stand.
“Die Kinder dort, sie haben mir mein Geld geklaut”, rief Jonas ihm zu.
“So, du beschuldigst einfach fremde Kinder, dich bestohlen zu haben, denkst, weil wir Zigeuner sind, sind wir auch Diebe”, antwortete der Mann.
“Aber…. Es ist wahr, ich lüge nicht.” Jonas gab nicht auf.
“Ich glaube eher, dass du hergekommen bist, um uns zu bestehlen, so dreckig, wie du aussiehst und jetzt verschwindest du besser, sonst mach ich dir Beine. Und sage niemals wieder, wir hätten gestohlen.”
Mit hängendem Kopf trottete Jonas davon im Glauben, hinter sich das höhnische Lachen der Zigeunerkinder zu hören.
Was sollte er nun machen? Erst als er weit weg von den Wohnwagen war, bemerkte er, dass er seinen Rucksack bei den Zigeunern vergessen hatte. Gegen Abend, als die Dunkelheit allmählich hereinbrach, wurde sein Hunger so groß, dass ihm der Magen wehtat. Da sah er in der Ferne die Umrisse eines Häuschens. Bei näherer Betrachtung entpuppte es sich allerdings eher als ein baufälliges Holzhaus.
Die Tür war nicht abgeschlossen und so trat Jonas ein. Zuerst mussten sich seine Augen an das Dunkel des Hausinneren gewöhnen, dann erblickte er einen Lichtstrahl, dem er folgte. Es war so eine Art Küche, in deren Mitte ein Holztisch mit zwei Stühlen stand. Auf dem Tisch stand eine Lampe, die mattes Licht spendete. Jonas blickte sich weiter um und sah einen Herd, auf dem ein Kochtopf stand. Dampf stieg daraus empor und ein nicht ganz unangenehmer Duft. Neben dem Ofen war ein Schrank, auf dem ein Teller mit Brot stand. Dem Jungen lief das Wasser im Munde zusammen, während seine Füße wie mechanisch weitergingen. Er durfte nichts stehlen, das hatte man ihn gelehrt. Er erinnerte sich, dass Lina ihm einmal sehr fest auf die Finger geschlagen hatte, als er sich letztes Jahr in der Küche mal ein Weihnachtsplätzchen nahm.
“Hast wohl Hunger, kleiner Junge.” Jonas fuhr herum und sah sich einem alten Mann gegenüber. Er fing an zu zittern und brachte keinen Ton heraus, hatte plötzlich nur den Wunsch, so schnell wie möglich das Weite zu suchen.
“Nun, hast du Hunger oder nicht?” Die Stimme war immer noch freundlich und Jonas nickte. Der alte Mann holte zwei tiefe Teller von einem Regal, ging zum Herd und füllte sie mit einer dicken Suppe, stellte diesen nebst einem Korb geschnittenem Brot auf den Tisch und legte einen Löffel dazu.
“Setz dich endlich, bevor es kalt wird.” Der alte Mann begann zu essen und Jonas ließ sich nun auch nieder. Er hätte nicht sagen können, was das für eine Suppe war, aber er verschlang sie mit Heißhunger, dazu zwei Scheiben Brot.
“Kann ich etwas Limonade haben?” fragte er zaghaft.
“Ei, schau an, der junge Herr kann also doch reden!” Der Mann lächelte und Jonas sah, dass er fast keine Zähne mehr hatte. Etwas später, nachdem er seine Limonade getrunken hatte und es draußen bereits dunkel geworden war, fielen Jonas fast die Augen zu. Als sein Kopf auf die Brust sank nahm ihn der alte Mann kurzerhand auf den Arm und trug ihn in den Raum nebenan, wo ein Bett stand und eine dicke Matratze auf dem Boden lag. Dort ließ er den Jungen ab und breitete eine Decke über ihm aus.
Die Sonne kitzelte an Jonas Nase als er erwachte. Zuerst dachte er, er läge in seinem weichen Bett, Zuhause, aber dann wurde ihm wieder bewusst, dass er fort gegangen war. Er stand auf und ging dem Duft von Rühreiern nach. In der Küche stand der alte Mann am Herd und schaute in die brutzelnde Pfanne.
“Ausgeschlafen, junger Herr?”, begrüßte er ihn. “Dort drüben sind Teller und Tassen, stell sie auf den Tisch, gleich gibt’s Frühstück!”
Jonas befolgte die Anweisungen und kurz darauf vertilgten sie Eier mit leckerem Butterbrot, nebst Kaffee und Milch.
Später fragte ihn der Mann nach seinem Namen, und warum er so mutterseelenallein unterwegs sei. Ob er denn keine Familie hätte, die sich sorgte.
“Jonas heiße ich”, sagte er. Er hatte längst Vertrauen zu dem Alten gefasst, der sich Fritz nannte. Und ihm erzählte er dann von den Geschehnissen und warum er von Zuhause fortgelaufen war.
Später saßen beide auf der Bank vor dem Häuschen. Jonas sah dem alten Fritz aufmerksam zu, und staunte, was der Mann aus einem Stück Holz zaubern konnte.
“Weißt du, was es ist?”, fragte der Alte.
“Oh ja, sieht aus wie ein Engelchen.”
“Gut erraten, mein Junge, es ist für dich, das heißt, für dein Schwesterchen, schenke es ihr, damit sie wieder gesund wird.” Er beendete seine Arbeit und gab das geschnitzte Engelchen dem Jungen.
“So, jetzt ist es aber höchste Zeit fürs Mittagessen, danach bringe ich dich zu deiner Familie zurück, und ich dulde keine Widerrede, einverstanden?”
Wie gerne wäre er ja jetzt wieder zu Hause, doch er hatte Angst, dass man ihn nun noch mehr bestrafen würde. Er sehnte sich nach seiner Mutter, die bis zu Jessicas Unfall ja immer so lieb zu ihm gewesen war, sehnte sich nach ihren Umarmungen, ihren streichelnden Händen. Und auch nach Oma Grete, die immer so gut duftete. Seinen Papa vermisste er ebenso, obwohl dieser in letzter Zeit seine Versprechen niemals hielt. Dann waren daheim immer noch die guten Puddings, die Lina kochte, und die es nirgendwo anders gab.
Fritz kannte den Gruber-Hof zwar nicht, jedoch das Dorf, wo Jonas in die Schule ging. Sie stärkten sich beide beim Mittagessen, der alte Mann rauchte noch eine Pfeife und dann gingen sie los.
“Glaubst du, sie bestrafen mich?” fragte der Junge zaghaft.
“Eltern bestrafen ihre Kinder niemals, wenn sie fortgelaufen sind, dafür sind sie viel zu froh, wenn sie gesund und munter wieder da sind.” Fritz war sich da zwar selbst nicht so sicher, aber er wollte dem Kleinen Mut machen.
“Sie haben sicher längst eingesehen, dass sie sich nicht richtig um dich gekümmert haben in letzter Zeit. Vielleicht war es die Sorge um deine Schwester, die sie so handeln ließ, aber bestimmt geben sie dir nicht die Schuld an dem Unfall.”
Man kann die große Freude gar nicht beschreiben, die ausbrach, als Jonas in Begleitung des alten Mannes auf dem Hof auftauchte. Mama weinte mal wieder, aber diesmal seinetwegen, als sie ihn in die Arme schloss. Auch der Vater, das konnte Jonas genau erkennen, hatte feuchte Augen und er drückte ihn liebevoll an seine Brust und fragte: “Warum bist du davongelaufen, Jonas?”
Und Jonas erzählte ihnen, warum er das getan hatte.
“Dass du nur wieder da bist, mein Sohn”, sprach Papa mit rauer Stimme, “das ist die Hauptsache. Wir waren ganz schön in Sorge um dich. Auch die Polizei wurde eingeschaltet, damit sie nach dir sucht.”
Papa schob ihn eine Armlänge von sich, und blickte ihm in die Augen.
“Ich verspreche dir, dass wir dich nicht mehr so vernachlässigen wie in den letzten Wochen und ich nehme mir in Zukunft auch wieder mehr Zeit für dich. Doch du musst uns versprechen, niemals wieder fortzulaufen, willst du das?”
Jonas wollte gerade nicken, da erklang Oma Gretes Stimme: “Natürlich will er. Möchtest du deine alte Oma nicht endlich auch begrüßen?” Alle waren also total aus dem Häuschen und froh, dass er wohlbehalten zurück war.
Natürlich musste er erzählen, wie es ihm ergangen war in den letzten beiden Tagen. Lina hatte ihm seinen Lieblingspudding gekocht und man saß im Wohnzimmer, Fritz musste selbstverständlich noch bleiben, und die Familie konnte sich bei ihm nicht oft genug bedanken.
Es war wieder ein schöner, sonniger Spätsommertag, als der Anruf kam.
“Jessica ist aufgewacht…” Und man machte sich auf den Weg ins Krankenhaus. Diesmal fuhr Jonas mit und in seiner Jackentasche hielt er das Engelchen verborgen.
Natürlich durften nicht alle auf einmal ins Krankenzimmer, denn es war noch nicht erkennbar, welchen Schaden das Koma bei dem Mädchen hinterlassen hatte. Momentan schlief sie. Sie waren sich alle einig: Jonas durfte zuerst hinein, zusammen mit seiner Mutter.
Zaghaft betraten sie das Krankenzimmer. Jonas sah zum Bett hinüber, in dem Jessica wie ein Engelchen lag. Heute war ihr vierter Geburtstag.
Jonas holte die geschnitzte Figur aus der Jackentasche und legte sie auf die Decke, direkt zwischen die Hände seiner Schwester. Es war mucksmäuschenstill im Raum, als das Mädchen die Augen öffnete und ein leises Stimmchen zu vernehmen war: “Jonas…..”
(c) Brigitte Kemptner / Brühl
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Reise in die Vergangenheit

Eisiger Wind bläst mir entgegen, als ich aus dem Zug steige. Ich ziehe die Kapuze meiner dicken Jacke übers Haar und warte, bis die Bahn sich wieder in Bewegung setzt und die kleine Station verlässt. Weit und breit keine Menschenseele zu erblicken. Ich schaue mich um. Das alte Bahnhofsgebäude steht immer noch da, wie vor drei Jahrzehnten, als ich von hier fortging, nur die dunkelbraune Farbe der Fassade zeigt Spuren des Zerfalls und blättert überall ab. In einigen Fenstern fehlen die Scheiben. Schon damals war der Betrieb des einzigen Fahrkartenschalters eingestellt worden und nur der kleine Wartesaal bot Schutz vor Kälte und Regen.
Alles ist mir noch so vertraut, trotz der vergangenen Zeit. Langsam setzen sich meine Füße in Gang und ich stapfe durch den Schnee Richtung Dorf.
Es war vor zwei Wochen gewesen, als ich plötzlich das unbändige Verlangen verspürte, meine alte Heimat wieder einmal zu besuchen und alte Bekanntschaften aufzufrischen. Bei dieser Gelegenheit konnte ich dann endlich den immer noch ausstehenden Besuch bei der Familie meiner kürzlich verstorbenen Freundin Helga nachholen. Ich habe es sehr bedauert, an ihrem Begräbnis nicht teilnehmen zu können, da ich kurz zuvor krank gewesen war.
Der knöchelhohe Schnee lässt mich nur langsam vorankommen und der Rucksack mit meinen Kleidern und anderen Utensilien zum Übernachten wiegt beträchtlich. Zwanzig Minuten später habe ich den einzigen Gasthof meines alten Heimatortes erreicht, in dem ich für ein paar Tage wohne. Die Wirtsleute sind mir fremd und mein Name sagt ihnen nichts. Kein Wunder, denn ich hatte ja keinen Ortsansässigen geheiratet.
Ich mache mich etwas frisch und will anschließend einen Spaziergang machen. Den Besuch bei Helgas Mann und den Kindern, vor dem mir etwas bang ist, nehme ich mir für den nächsten Tag vor.
Einer inneren Eingebung folgend lenke ich meine Schritte zum Rande des Dorfes, zu dem alten Häuschen, in dem ich einst mit meiner berufstätigen Mutter und den Großeltern zur Miete lebte. Ob es noch existiert? Damals hieß es ja schon, dass die Gemeinde vorhatte, es bald abzureißen. Auf meinem Weg dorthin begegnen mir nur ein paar Kinder mit ihren Schlitten. Das Häuschen steht zu meiner großen Überraschung noch, aber in einem schlimmen Zustand und es wohnt niemand mehr drin.
Mir fallen die zwei Bäume ein: meine Bäume! Ich betrete das verlassene Anwesen und da, im hintersten Teil des Gartens, stehen sie in winterlicher Pracht, mit ineinander verschlungenen Ästen, wie früher. Ich trete näher. Gewachsen sind sie in all den Jahren. Im Frühjahr und im Sommer, manchmal sogar bis in den Oktober hinein, stand hier immer eine rote Gartenbank. Großvater las Helga und mir oft aus Büchern vor oder erzählte uns erfundene, tolle Geschichten und das dichte Laub der Bäume spendete kühlen Schatten. Auch an die Hängeschaukel kann ich mich gut erinnern und wenn ich die Augen schließe, höre ich im Geiste Opas raue Stimme: “Flieg nicht zu hoch, Engelchen!” Ich fühle einen Kloß im Hals und muss schlucken.
Mein Blick wandert hinauf zu den Baumkronen. “Die sind wie ein Liebespaar!” Wie oft hatte ich hier gestanden und dies zu meinem Großvater gesagt, mit dem mich eine innige Freundschaft verband.
Wie ein Liebespaar kommen sie mir auch heute noch vor und wenn man sie eines Tages fällen würde, dann nur gemeinsam. Bei diesem Gedanken wird mir wehmütig ums Herz. Es sind meine Bäume, denke ich erneut. Waren es schon immer gewesen, denn Oma mochte sie nicht, weil im Herbst überall die Blätter herumflogen. Dabei hatte Großvater die Bäume kurz nach seiner Hochzeit doch eigens für sie gepflanzt. Mit Einverständnis des Vermieters.
Obwohl meine Füße allmählich kalt werden, bleibe ich noch eine Weile bei den Bäumen. Fest verwurzelt stehen sie da, trotzen jeder Witterung. In einen ihrer Stämme hatte ich sogar mal ein Herz geritzt und die Anfangsbuchstaben meines Schulfreundes Martin und mir, damals waren wir zehn.
Die zwei Riesen waren im Laufe der Zeit zu meinen Beichtvätern geworden. Unter ihrem Blätterdach erzählte ich von meinem Kummer und meiner Freude, flossen viele Tränen, auch die um meine erste große Liebe. Doch es wurde auch gelacht und gesungen, wenn meine Freundinnen da waren.
Es fängt an zu schneien und das bringt mich wieder in die Gegenwart zurück. Ich denke an den Frühling, wenn die Bäume ihr neues Blätterkleid bekommen. Wenn Vögel ihre Nester bauen. Doch keine rote Bank wird mehr hier stehen, kein Opa wird seinen Enkeln hier Geschichten erzählen. Eine Krähe lässt sich auf einem kahlen Ast nieder und krächzt. Dieses letzte Bild nehme ich in mir auf und gehe lächelnd zurück zum Gasthof. Etwas Wehmut fühle ich schon durch diese Erinnerungen. Und trotzdem: Nun freue ich mich doch auf den morgigen Tag.
(c) Brigitte Kemptner / Brühl
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Der Bettler

Einen Tag vor Heiligabend kam ich endlich zu meinem lang geplanten Stadtbummel. Außerdem brauchte ich dringend noch zwei Geschenke und konnte bei dieser Gelegenheit die neue Brille abholen.
Mein Mann hatte Urlaub genommen und kümmerte sich um unsere beiden Kinder. “Mach dir einen schönen Tag. Bist schließlich das ganze Jahr über für uns da”, hatte er gesagt und mich liebevoll geküsst.
So ging ich guter Dinge durch die Stadt und ließ die ganze weihnachtliche Atmosphäre auf mich wirken. Reichlich geschmückte Tannenbäume säumten die Fußgängerzone, die Schaufenster der Geschäfte waren bunt und üppig dekoriert und lockten die Passanten zum Kaufen an. Wo immer ich hinschaute, alles erstrahlte im Glanz des bevorstehenden Festes. Aus einigen Läden drang Weihnachtsmusik an mein Ohr und der Duft aromatischer Gewürze umnebelte meine Sinne. Es war jedes Jahr das Gleiche, und trotzdem stimmte mich diese Zeit stets wieder aufs Neue melancholisch.
So lange ich denken konnte, liebte ich diese Zeit der Besinnung und bedauerte es von Jahr zu Jahr mehr, dass Weihnachten längst zu einem Konsumrausch geworden war. Je näher der Heilige Abend rückte, umso unruhiger, nervöser und gestresster wurden die Menschen. Dass viele von ihnen deshalb kaum in der Lage waren, dem Zauber der Weihnachtszeit zu verfallen oder ihn einfach nur zu genießen, war mir klar. Mich störten diese Hektik und das Gedränge an diesem Tag nicht. Ich war guter Laune und der Blick zum grauen Himmel war vielversprechend. Schnee lag in der Luft.
Mit ausdrucksloser Miene hasteten etliche Leute an mir vorüber. Ich hatte das Gefühl, als würden sie überhaupt nichts von ihrer Umgebung wahrnehmen. Vor einem Spielwarenladen schimpfte eine – sicherlich gestresste – Mutter ziemlich laut mit ihrem Kleinkind und zerrte es dann an der Hand unsanft mit sich fort. Neben dem Eingang eines Kaufhauses hatten sich Passanten vor einem großen Verkaufsstand dicht zusammengedrängt und durchwühlten wie besessen die Bettwäsche und Handtücher, die dort preisreduziert angeboten wurden. Als ich vorüberging, stritten sich gerade zwei Frauen.
In einer kleinen Parfümerie kaufte ich ein Au de Toilette für meinen Vater und setzte mich anschließend in ein kleines, schummriges, nur von Kerzenlicht erhelltes Café. Aus einem Lautsprecher drang leise “Süßer die Glocken nie klingen …”, als die Kellnerin mir meinen bestellten Cappuccino brachte.
“Ein kleines Geschenk des Hauses. Das bekommt heute jeder Gast”, sagte sie freundlich, und legte eine kleine Tüte Spritzgebäck neben meine Tasse.
“Danke”, antwortete ich und aß die ganze Tüte mit großem Appetit leer. Die Plätzchen schmeckten köstlich.
Später bummelte ich weiter durch die Einkaufszone und schaute mir die dekorativen Auslagen der Geschäfte an. Ich brauchte noch ein Geschenk für Tante Hilde. Sie hatte recht kurzfristig für den ersten Feiertag ihren Besuch angekündigt. Wir waren darüber sehr erstaunt gewesen, denn die gute Tante hatte uns Weihnachten noch niemals beehrt. Nun musste ich mir überlegen, was man ihr schenken könnte.
Während ich vor einer Fotogalerie stand, wurde meine Aufmerksamkeit auf laute Stimmen gelenkt.
“Diese Penner sind ein Schandfleck für die ganze Stadt”, sagte die eine Stimme. “Lassen Sie den Mann in Frieden, der tut doch keinem was”, tönte eine Zweite. Dann wieder die Erste: “Die Kerle sollen arbeiten gehen, dann brauchen sie nicht zu betteln.”
Ich war unbemerkt nähergekommen. Mehrere Leute standen mittlerweile da und hörten dem Dialog der beiden Männer zu. Auf dem kalten Boden, an eine Laterne gelehnt, saß ein bärtiger Mann, dessen Alter schlecht zu schätzen war. Er trug einen zerlumpten und schmutzigen grauen Mantel und schaute starr geradeaus.
Ob er blind ist, weil sein Blick so leer wirkt, dachte ich und hatte großes Mitleid mit dem armen Kerl, vor dem ein Topf mit ein paar Münzen stand.
Die Stimmen der beiden diskutierenden Männer nahm ich kaum mehr wahr, weil sich meine Gedanken mit dem armen Kerl beschäftigten. Er tat mir leid und ich fragte mich, wo er wohl morgen sein mochte, wenn überall hinter unzähligen Fenstern das Fest der Liebe gefeiert wurde. Hatte er überhaupt einen warmen Platz zum schlafen? Oder gar eine warme Mahlzeit?
Ein Räuspern rief mich wieder in die Gegenwart zurück. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass die anderen Passanten gegangen waren. Allein stand ich jetzt vor dem Bettler, der die wenigen Münzen aus dem Topf fischte. Schnell ließ er sie in seiner Manteltasche verschwinden. Ich wirkte plötzlich verlegen, holte meinen Geldbeutel hervor und legte ihm einen Fünfeuroschein in den leeren Topf. “Frohe Weihnachten”, wünschte ich ihm, bevor ich weiter ging. Sein “Danke” konnte ich jedoch noch hören.
Nachdem ich endlich doch noch das Passende für Hilde gefunden und an einem kleinen Stand Popcorn für die Kinder gekauft hatte, wollte ich meine Brille abholen. Der Bettler kam mir wieder in den Sinn, der sicher noch in der Kälte auf dem harten Boden sitzen würde.
Auf dem Weg zum Optiker kam ich an einer Würstchenbude vorbei und bestellte mir eine Bratwurst mit reichlich Senf. Doch als ich bezahlen wollte merkte ich, dass meine Geldbörse fort war. Wie eine Verrückte durchsuchte ich meine Tasche, nichts. Die Börse war weg und ich den Tränen nahe, während der Würstchenverkäufer mit meiner Wurst in der Hand auf sein Geld wartete. Ich bekam die Panik. Wo hatte ich das Portemonnaie verloren? Ich lief den Weg zurück zu dem Laden, in dem ich das letzte Geschenk gekauft hatte und fragte die Verkäuferin, ob eine Geldbörse gefunden worden war. Sie verneinte, trotzdem schaute ich mich in dem Geschäft um. Aber ich fand nichts, weder drinnen noch draußen auf der Straße.
Meine zuvor noch so gute Laune war wie weggeblasen. Ich musste mich wohl oder übel mit dem Verlust meines Geldbeutels abfinden, was mir schwer fiel. Ade vierhundert Euro, ade neue Brille. Und mein Ausweis steckte auch in der Börse. Zum Glück hatte ich wenigstens meine Scheckkarten zu Hause gelassen.
Es war zwecklos, sich mit Selbstvorwürfen zu quälen, davon bekam ich mein Geld auch nicht wieder. Schweren Herzens machte ich mich auf den Heimweg. Wie erwartet, hatte es angefangen zu schneien, aber darüber konnte ich mich plötzlich auch nicht mehr freuen.
Mein Mann war von dem Missgeschick auch nicht sehr erfreut, sah die Sache aber wesentlich gelassener als ich.
Er versuchte mich zu trösten. “Schatz, das Geld ist weg und wenn du dich noch so sehr darüber ärgerst, so kommt es auch nicht wieder. Und auf einen ehrlichen Finder wirst du lange warten können.”
So endete dieser Tag, der doch so schön begonnen hatte.
Heiligabend. Ich trauerte immer noch dem verlorenen Geld nach. Zum Glück war ich den ganzen Vormittag ziemlich beschäftigt gewesen und auch die Kinder sorgten dafür, dass ich abgelenkt wurde.
Am Nachmittag schickte ich meinen Mann mit den Kindern spazieren, damit ich in aller Ruhe den Baum schmücken und das Wohnzimmer festlich für die Bescherung herrichten konnte. Der Kartoffelsalat war fertig und die Würstchen brauchte ich später nur heiß zu machen.
Da läutete es an der Tür. Wer mochte das sein? Ich erwartete niemanden und die Nachbarn waren schon am Vormittag kurz vorbeigekommen, um Frohe Weihnachten zu wünschen.
Ich öffnete und vor mir stand ein Mann mit grauem, schnuddeligem Mantel. Gerade wollte ich “Ich kaufe nichts an der Tür” sagen, da erkannte ich den Bettler aus der Einkaufszone.
“Was wollen Sie?”, fragte ich freundlich, obwohl ich über die Störung nicht besonders erfreut war.
“Ich will nicht lange stören”, antwortete er und griff in seine Manteltasche. Kurz darauf streckte er mir seine schmutzige Hand entgegen, in der meine verlorene Geldbörse lag. Mein Herzschlag setzte für einen Moment aus.
“Ich habe sie vor dem Popcornwagen gefunden”, sagte der Mann, während ich mein Eigentum mit leicht zittriger Hand entgegen nahm.
“Ihre Adresse habe ich auf dem Ausweis gelesen”, sprach er weiter, “Sie sind doch die Frau, die mir den Fünfeuroschein schenkte.”
“Ja, stimmt, ich erkenne Sie wieder”, entgegnete ich.
Ich öffnete die Börse, um nachzuschauen, ob alle Scheine noch vorhanden waren, da hörte ich ihn sagen: “Ich habe nichts von dem Geld genommen.”
Plötzlich schämte ich mich meines Misstrauens und wusste nicht recht, wie ich reagieren sollte.
Da wandte sich der Mann zum Gehen und wünschte mir “Frohe Weihnachten.”
“Halt, warten Sie!”, rief ich. “Ich habe mich ja noch gar nicht bedankt. Außerdem bekommen Sie noch einen Finderlohn.”
Ich holte einen Fünfzigeuroschein aus der Börse und gab ihn dem Bettler. Doch dann kam mir spontan die Idee: “Ich möchte Sie gerne einladen, den Heiligen Abend mit uns zu feiern.” Das jedoch lehnte er so energisch ab, dass ich ihn ziehen ließ, aber nicht, bevor ich ihm unsere Würstchen und ein paar Brötchen mit auf den Weg gegeben hatte.
Als ich meinem Mann später freudestrahlend von dem Besuch des Bettlers und der wiedergefundenen Geldbörse erzählte, war auch er mehr als erleichtert.
An diesem Heiligen Abend aßen wir nur den Kartoffelsalat.
Die Erkenntnis, dass es auch heute noch ehrliche Menschen gab, brachte uns Weihnachten wieder ein Stück näher und wir erkannten, dass es so einfach war, seine Mitmenschen zu beschenken.
Da fiel uns der Verlust unserer Würstchen wahrlich nicht schwer.
(c) Brigitte Kemptner / Brühl
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Der kleine Schutzengel

Lili fühlte sich so überflüssig wie schon lange nicht mehr. Überall, wo der kleine Engel auftauchte, schickte man ihn wieder fort. In der himmlischen Küche zum Beispiel wurden fleißig Plätzchen gebacken. Als Lili die Tür öffnete, atmete ihr feines Näschen das würzige Aroma von Honig und Mandeln ein. “Wie wundersüß das duftet”, dachte sie und ging näher. Da stellte sich ihr ein großer Engel in den Weg: “Stör uns bitte nicht beim Backen, Lili, bis Weihnachten müssen wir nämlich fertig sein.”
Dabei wollte Lili doch nur helfen und keineswegs stören.
Auch in der Spielzeugwerkstatt herrschte geschäftiges Treiben. Die Engel waren so sehr in ihre Arbeit vertieft, dass sie Lili zuerst gar nicht bemerkten, die ihnen mit glänzenden Augen zuschaute. “Hier würde ich auch gerne helfen”, sprach sie leise vor sich hin und stellte sich neben einen älteren Engel, der gerade eine Puppenwiege zusammenbaute. “Darf ich dir zur Hand gehen?”, fragte Lili. Der Engel blickte von seiner Arbeit hoch.
“Nein! Das ist noch keine Aufgabe für dich. Gehe spielen und störe nicht, bis Weihnachten müssen wir fertig sein.”
So ging es den ganzen Vormittag. Überall wurden Weihnachtsvorbereitungen getroffen und Lili war im Wege. Ihr fiel der Weihnachtsmann ein. “Zu ihm werde ich gehen”, dachte sie erfreut, “er wird mich nicht fortschicken, sondern froh über jede helfende Hand sein.”
Wenig später hatte Lili das Reich des Weihnachtsmannes erreicht. Aber oh weh, was war das für ein Tumult dort? Das große Tor zur Eingangshalle stand weit offen und Lili konnte ungehindert eintreten. Laute Stimmen drangen ihr in einem wirren Durcheinander entgegen. Was da wohl geschehen sein mochte?
Lilis Augen suchten den Weihnachtsmann. “Ihm ist doch hoffentlich nichts zugestoßen! Das wäre ja furchtbar”, dachte sie und ließ ihre Blicke umherschweifen. Dabei bemerkte sie einige Erzengel und den guten alten Petrus, den Freund des Weihnachtsmannes. Das bestärkte den kleinen Engel in seiner Vermutung, dass etwas Außergewöhnliches geschehen sein musste.
Da, endlich hörte Lili die vertraute tiefe Bassstimme des Weihnachtsmannes: “Bitte Ruhe! Alle mal zuhören. Seid doch jetzt still, sonst muss ich ja so schreien, damit ihr versteht, was ich zu sagen habe.”
Und dann herrschte plötzlich Stille und alle Blicke waren auf den Weihnachtsmann gerichtet. Lili schlüpfte weiter nach vorn und war froh, dass keiner sie wahrnahm.
“Meine lieben Engel”, begann der alte Herr mit seiner Rede. “Auf der Erde lebt die kleine Lena und seit heute Morgen ist sie ohne Schutzengel.”
Ein Raunen ging durch die Reihen.
“Ihr stimmt mir doch sicher zu, dass dies einfach unmöglich ist, weil kein Mensch ohne Schutzengel sein sollte, vor allem nicht die Kinder.”
Wieder ein Raunen und ein mehrstimmiges “Wie recht du hast, Weihnachtsmann!”
“Und warum hat dieses Kind keinen Schutzengel mehr?”, wollte ein Engel in der vorderen Reihe wissen.
Der Weihnachtsmann räusperte sich und sprach weiter: “Weil Lenas bisheriger Schutzengel nicht mehr der jüngste ist und dieses Amt ohne vorherige Absprache mit einem der Erzengel oder mit mir niedergelegt hat. Er möchte die Verantwortung für ein kleines Kind nicht länger tragen und lieber hier im Himmel eine leichtere Aufgabe übernehmen. Deshalb habe ich euch sofort gerufen, um für Lena einen neuen Schutzengel zu bestimmen. Wir dürfen keine wertvolle Zeit verlieren.”
“Kannst du uns etwas über Lena erzählen?”, fragte Petrus.
“Sicher, mein Freund. Lena ist vier Jahre alt und hat ein krankes Herz. Ihre Eltern sind ständig in großer Sorge, dass das lebhafte Mädchen sich im Umgang mit anderen Kindern zu sehr überfordern könnte. Deshalb darf Lena auch nicht in einen Kindergarten, obwohl das ihr größter Wunsch ist. Vor einer Stunde wurde das Kind in die Klinik gebracht. Lena braucht also dringend einen neuen Schutzengel. Wer von euch möchte diese Aufgabe übernehmen?”
Noch bevor irgendjemand sich melden konnte, schlüpfte Lili nach vorne und blieb vor dem Weihnachtsmann stehen. “Ich!”, rief sie laut und ihr Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran offen, dass sie es ernst meinte.
Der Weihnachtsmann lächelte gütig, sagte aber mit fester Stimme: “Du, Lili? Wie kommst du darauf, dass meine Wahl auf dich fallen könnte? Und was hast du überhaupt hier zu suchen? Für das Amt eines Schutzengels bist du noch viel zu jung und unerfahren. Das siehst du doch hoffentlich ein.”
Lili schüttelte den Kopf. “Nein. Das sehe ich nicht so. Warum dürfen wir kleinen Engel nicht ebenfalls Schutzengel sein? Ich möchte so gerne auf Lena aufpassen.”
“Diese Verantwortung ist viel zu groß. Wenn du noch ein paar Jahre älter bist, können wir wieder über dieses Thema sprechen. Aber …”
Der Weihnachtsmann hielt inne, als er die erhobene Hand des Petrus sah. “Was gibt es?”, fragte er.
“Warum versuchen wir es nicht mit Lili, lieber Freund? Zugegeben, sie ist noch recht jung, aber sehr pflichtbewusst und zuverlässig. Es kommen niemals Klagen über sie an meine Ohren und auch Erzengel Michael, der unter anderem auch noch die Aufsicht über die kleinen Engel hat, ist voll des Lobes. Vor allem liebt Lili Kinder sehr.”
Der Weihnachtsmann überlegte, dann wandte er sich an die anderen. “Was meint ihr?”, fragte er. “Wir dürfen nicht allzu lange mit unserer Entscheidung warten.”
Ein Tuscheln ging durch die Reihen und dann meldete sich ein Engel: “Wir denken, dass Lili eine Chance verdient hat, auch wenn es ungewöhnlich ist, einem so jungen Engel schon eine solche Verantwortung aufzubürden.”
“Gut”, sagte der Weihnachtsmann und schaute Lili an, “aber ich werde einen der älteren Engel anweisen, dich im Auge zu behalten, um im Notfall an deiner Seite zu sein. Das bin ich dem kranken Kind schuldig.”
Wenig später, als alle Engel gegangen waren, trat der Weihnachtsmann vor sein großes Fernrohr und winkte Lili herbei. Gemeinsam blickten sie hinunter zur Erde. “Schau einmal, in dieser Stadt wohnt Lena. Und dort ist das große Krankenhaus”, erklärte ihr der Weihnachtsmann. “Warte, gleich werfen wir einen Blick in Lenas Zimmer.”
Nachdem Lili das Mädchen gesehen hatte, sagte der Weihnachtsmann: “Jetzt begib dich auf den Weg. Mach deine Arbeit gut, damit Lena zu Weihnachten in einer Woche wieder zuhause ist.”
Froh, endlich eine Aufgabe zu haben, machte sich Lili auf ihre Reise zur Erde. Es hatte angefangen zu schneien und als sie wieder auf festem Boden stand, lag dieser unter einer dicken Schneedecke. Lili hatte keine Zeit, den Kindern zuzuschauen, die fröhlich und lachend Schlitten fuhren oder einen Schneemann bauten. Lena wartete und der kleine Schutzengel wollte den Weihnachtsmann nicht enttäuschen, der ihr diese große Chance gegeben hatte.
Wie ein sanfter Windhauch schwebte Lili bald darauf über die langen Korridore der Klinik und dann stand sie schließlich vor Lenas Bett. Die Kleine sah so zart und zerbrechlich aus, dass es Lili ins Herz schnitt. Das Gesicht war blass und die Augen geschlossen. Auf einer Ablage über dem Bett stand ein Monitor, der die einzigen Geräusche im Zimmer verursachte. Und mit diesem Monitor war Lenas Herz durch ein paar Kabel verbunden.
Lili beugte sich behutsam zu dem Mädchen hinunter und hauchte einen Kuss auf Stirn und Wangen. Danach nahm sie die zarte Hand Lenas in ihre und sprach ihr Mut zu. “Kämpfe, kleines Herz! Du wirst bald wieder gesund sein. Ich bin Lili, dein neuer Schutzengel, und ich werde immer auf dich achtgeben.”
Nach einiger Zeit ging die Zimmertür auf und Lenas Eltern kamen in Begleitung des Arztes herein. Nach einem kurzen Blick zum Monitor, auf dem Lenas Herzschläge aufgezeigt wurden, machte der Doktor ein erfreutes Gesicht. “Wie ich sehe, geht es unserer kleinen Patientin schon besser und das Herz hat sich erstaunlicherweise schneller wieder beruhigt als ich dachte. Ich möchte Lena aber lieber noch für ein paar Tage hierbehalten.”
“Und wann kann sie endlich operiert werden?”, fragte Lenas Mutter.
“Im Januar, falls keine weiteren Infektionen wie Husten oder Schnupfen dazwischenkommen”, antwortete der Arzt.
Lili hörte den Menschen aufmerksam zu, während sie Lenas Hand festhielt. Viel später in der Nacht wachte sie immer noch über dem Kind und auch in den folgenden Tagen wich Lili nicht von Lenas Seite. Inzwischen durfte das Mädchen schon aufstehen. Die Mutter kam täglich zu Besuch, spielte mit ihrer Tochter oder las ihr Geschichten vor, die Lili auch gefielen. Der kleine Schutzengel hatte Lena fest ins Herz geschlossen und ließ sie keinen Moment aus den Augen.
Am Heiligen Abend durfte Lena endlich nach Hause. Es ging ihr wieder so gut, dass sie am liebsten mit den Nachbarkindern, die gerade draußen waren, gespielt hätte. Aber das erlaubte die Mutter nicht. Lili beobachtete die zwei Buben und sah, wie einer von ihnen einen dicken Schneeball formte und ihn in Lenas Richtung warf. “So ein Schlingel”, dachte Lili, fing den Schneeball ab und warf ihn im hohen Bogen gegen die Hauswand, wo er kleben blieb. Die Buben machten große Augen und als Lili einen Schneeball machte und den ebenfalls an die Hauswand warf, rannten die Kinder so rasch ins Haus, als wäre der Nikolaus hinter ihnen her.
Um Lilis Lippen spielte ein Lächeln. Sie würde ihre Rolle als Schutzengel sehr genau nehmen und alles von Lena fernhalten, was ihrer Gesundheit schaden könnte.
Als Lena nach einer wunderschönen Bescherung im Kreis ihrer Familie im Bett lag und friedlich schlief, flog Lili kurz ins Himmelreich, um ihren Freunden und dem Weihnachtsmann ein frohes Fest zu wünschen.
“Ich bin sehr stolz auf dich, Lili”, sagte der weißhaarige Mann. “Du hast deine Aufgabe bisher gut gemeistert und mich nicht enttäuscht.”
Lilis Gesicht strahlte vor Freude über dieses Lob. “Dann darf ich also weiter auf Lena aufpassen? Sie soll bald am Herz operiert werden und vielleicht wird ihr größter Wunsch, mit anderen Kindern zu spielen, dann doch noch wahr werden.”
“Das wünsche ich mir auch”, sagte der Weihnachtsmann. “Ich will hier oben immer für sie beten, doch jetzt geh und lass Lena nicht zu lange allein.”
Das ließ sich Lili nicht zweimal sagen und machte sich frohen Mutes auf den Weg zur Erde.
(c) Brigitte Kemptner / Brühl
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Engelshaar

Das Licht in dem schäbigen Häuschen am Rande des Dorfes wurde zeitig gelöscht, weil die Familie wenig Geld hatte und Strom sparen musste. So war die Küche der einzige Raum, in dem ein Holzfeuer für angenehme Wärme sorgte.
Wie an jedem Abend der vergangenen Wochen zündete Karina auch zwei Tage vor Heiligabend ein paar Kerzen an, die sie aus Wachsresten selbst herstellte und las im Schein des flackernden Lichtes ihren beiden Kindern eine Weihnachtsgeschichte vor. Mara und Lara waren gute Zuhörer und hatten sich dicht an ihre Mama gedrängt, bis diese das Buch zuklappte.
“Schluss für heute”, sagte sie liebevoll. “Ich mache uns noch eine Scheibe Brot und einen Becher warme Milch, dann geht ihr schlafen.” Eine halbe Stunde später lagen Mara und Lara fest aneinander gekuschelt in dem schmalen Bett und die Augen fielen ihnen nach wenigen Minuten zu.
Karina stand währenddessen am Küchenfenster und starrte in die Finsternis. Es schneite seit den frühen Abendstunden sehr heftig und sie war voller Sorge um ihren Mann Johannes. Hoffentlich passierte ihm nichts, wenn er gegen Morgen zu Fuß heim kam. Er arbeitete als Nachtwächter in einer Lagerhalle. Viel verdiente er dabei nicht und so hatte sich Karina verschiedene Putzstellen besorgt. Doch das Geld reichte trotzdem noch nicht und deshalb freuten sie sich über jede Kleinigkeit, die ihnen freundliche Mitmenschen schenkten.
Mara und Lara hatten keine Freunde. Sie wurden von den Dorfkindern gehänselt und beschimpft, weil sie immer in geflickten, abgetragenen und schäbigen Kleidern herumliefen. Aber die Familie hielt trotz ihrer Armut fest zusammen und sie freuten sich auf das Weihnachtsfest. Große Geschenke gab es auch in diesem Jahr keine, doch Karina kaufte für wenig Geld Dinge, von denen der handwerklich geschickte Vater die tollsten Sachen bastelte.
Am nächsten Morgen war der Himmel wolkenlos, die Luft roch frisch, doch es war eiskalt. Karina saß mit Mara und Lara in der warmen Küche, während der Vater im kalten Schlafzimmer tief schlummerte. Er war erst vor zwei Stunden heimgekehrt.
Als die Kinder nach dem Frühstück die Köpfe in ihre Malbücher steckten, kochte Karina die Suppe, bevor sie zur Arbeit ging. Johannes musste das Essen nur noch aufwärmen, wenn er ausgeschlafen hatte. Karina schmerzte es jedes Mal in der Seele, die beiden fünf- und sechsjährigen Töchter allein zu lassen und war deshalb froh, dass die freundliche ältere Dame von nebenan nach ihnen sah.
Es dämmerte gerade, als Karina wieder nach Hause kam. Die Kerzen brannten bereits und sie wunderte sich sehr darüber.
“Man hat uns den Strom abgestellt”, begrüßte Johannes sie.
Deshalb die Kerzen, dachte Karina traurig. Glücklicherweise war ein größerer Vorrat davon vorhanden.
Da Karina keinen Tee zum Abendbrot kochen konnte, erwärmte sie die Milch, die ihr die nette Frau aus dem Lebensmittelladen geschenkt hatte, auf der Feuerstelle.
Nachdem der Vater zur Arbeit aufgebrochen war, löcherten die Kinder ihre Mutter, ihnen eine neue Geschichte aus dem Weihnachtsbuch vorzulesen. Jedoch es kam nicht dazu, denn es klopfte ziemlich heftig an der Haustür. Die drei Menschen blickten sich erschrocken an.
Wenn das nur nicht der Hausvermieter ist, dachte Karina mit Entsetzen. Wieder klopfte es.
“Willst du nicht aufmachen, Mami?”, drang Mara`s Stimme an ihr Ohr. Die Mutter erhob sich und wenig später öffnete sie mit klopfendem Herzen.
Draußen in der Kälte stand nicht, wie vermutet, der Vermieter, sondern ein junges Mädchen, eingehüllt in ein dunkles, bis zu den Knöcheln reichendes Cape, mit Kapuze.
“Guten Abend, habt ihr vielleicht ein warmes Plätzchen für mich? Ich komme von sehr weit her und meine Füße sind schon ganz durchgefroren.”
Mara, Lara und die Mutter blickten gleichzeitig auf die kleinen, nackten Füße, die in Sandalen steckten und Karina fand es recht seltsam, dass jemand zu dieser Jahreszeit noch offene Schuhe trug.
Sie gaben die Tür frei und ließen die späte Besucherin herein. In der Küche schob das Mädchen die Kapuze von ihrem Kopf und eine Flut langer blonder Haare ergoss sich über ihre Schultern. Mara und Lara sahen sie mit kugelrunden Augen an. “Sie sieht aus wie der Engel in unserem Weihnachtsbuch”, flüsterte Mara ihrer Schwester zu.
“Quatsch”, erwiderte Lara, “Engel haben doch Flügel und sie nicht.”
Das junge Mädchen lächelte den Kindern freundlich zu und sagte: “Ich heiße Anna und wie heißt ihr?”
Nachdem Mara und Lara ihre Namen genannt hatten, gingen sie in ihre kleine Spielecke. Sie tuschelten unentwegt miteinander.
Karina bat ihren Gast, am Küchentisch Platz zu nehmen und holte ein paar warme, selbst gestrickte Socken. “Die Wolle kratzt zwar etwas, aber die Füße werden gleich warm werden”, sagte sie und reichte sie der Fremden.
Ein feuerfestes Gefäß, gefüllt mit Milch, stand kurze Zeit später auf dem Ofen und als sie warm genug war, tranken alle einen Becher. Dazu aßen sie von dem leckeren Kuchen, den die nette Nachbarin am Mittag vorbeigebracht hatte.
Karina hielt es für das Beste, wenn Anna bei ihnen die Nacht verbrachte und bot ihr das Bett der Kinder an.
“Mara und Lara können bei uns schlafen”, meinte die Mutter, doch Anna schüttelte den Kopf. “Das kommt überhaupt nicht in Frage. Die Kinder brauchen ihr Bett. Ich lege mich auf die Bank hier in der Küche. Es macht mir wirklich nichts aus.”
Karina merkte, dass Anna sich keineswegs umstimmen ließ und gab nach.
Damit es Anna nicht ganz so unbequem auf der harten Bank hatte, legte Karina eine Wolldecke darauf und gab ihr noch eine zum Zudecken. Bevor die Kinder allerdings ins Bett gingen, wollten sie unbedingt einmal Annas Haare anfassen. Karina entschuldigte sich für diese recht außergewöhnliche Bitte ihrer Sprösslinge, doch das junge Mädchen lächelte nur und meinte: “Natürlich dürfen die Kinder es anfassen.” Und zu den Mädchen gewandt fragte sie: “Habt ihr denn noch nie solche Haare gesehen?”
Mara und Lara schüttelten ihre Köpfe und ein einstimmiges “Nein” ertönte. Vorsichtig griffen ihre Hände in das Goldhaar des Mädchens.
“Es fühlt sich so weich an”, meinte Mara und Lara stimmte ihr zu.
“Ja und richtig zart. Mami, wie in der Geschichte von dem Engel, die du uns vorgelesen hast.”
Wenig später lagen die Geschwister im Bett. An Schlaf war allerdings noch nicht zu denken, denn die junge Anna mit dem Engelshaar ging ihnen nicht aus dem Sinn.
Heiligabend! Johannes war in der Nacht etwas früher heimgekehrt und saß nun mit seiner Familie beim Frühstück. Es fiel nicht sehr üppig aus, und trotzdem teilten sie es mit Anna.
Karina arbeitete an diesem Tag nicht. Zwar gab es in ihrem Hause keine großen Weihnachtsvorbereitungen zu treffen, trotzdem wollte sie den Kindern das Fest so schön wie nur irgend möglich machen. Johannes holte frische Tannenzweige aus dem Wald und Karina bastelte einen schönen Kranz, verzierte ihn mit Tannenzapfen, kleinen Figuren, die ihr Mann aus Holzstückchen schnitzte, Kastanien, die die Kinder schon im Herbst gesammelt hatten und getrockneten Blüten. Sie befestigte die Kerzen und stellte das fertige Werk auf den Küchentisch.
So verging der Vormittag und Anna blieb bei ihnen. Mara und Lara schwirrten ständig um sie herum und waren ganz ausgelassen und fröhlich. Das junge Mädchen erzählte ihnen eine Geschichte und sie sangen ein Lied miteinander.
Zur Mittagszeit kam die nette Nachbarin mit einem Topf dampfender Hühnersuppe vorbei, schenkte den Mädchen Schokolade und wünschte ihnen allen ein frohes Fest.
Zu fünft machten sie sich über sie Suppe her und bald war der Topf bis auf den letzten Tropfen leer. Am Nachmittag kam das Unheil in Gestalt des Vermieters. Er fand es nicht einmal für nötig, der Familie frohe Weihnachten zu wünschen, sondern ging sofort auf sein Ziel los.
“Gleich nach den Feiertagen räumen Sie das Haus, ich habe schon neue Mieter dafür gefunden. Ich hoffe, Sie haben mich verstanden.” Der Mann schenkte der Familie keinen freundlichen Blick und wollte gleich wieder gehen, als Anna ihm den Weg versperrte.
“Was gibt’s denn noch?”, brummte der Mann unfreundlich, doch schon im nächsten Augenblick brachte er kein Wort mehr über seine Lippen.
“Schämen Sie sich denn nicht, arme Leute, die nichts haben, außer einem guten Herzen an einem Tag wie diesem davonzujagen? Haben Sie keine Seele in der Brust? Haben Sie niemals über den Sinn der Weihnachtszeit nachgedacht? Was sind Sie nur für ein Mensch, der sich am Geburtstag des Heilands so unmenschlich zeigt?” Anna hatte mit ruhiger, fast sanfter Stimme gesprochen. Karina, Johannes und die Kinder standen nur da und schauten sie an. Der Vermieter brachte noch immer kein Wort heraus. Wie gebannt starrte er das engelhafte Wesen an, bis er plötzlich zusammenzuckte und mit gesenktem Kopf das Haus verließ. Er murmelte noch etwas in seinen Bart, das man als Frohe Weihnachten hätte deuten können, aber sicher war sich niemand.
Anna schaute Mara und Lara an, dann strich sie ihnen übers Haar und sagte zu Karina und Johannes gewandt: “Ihr wart gestern die Einzigen, die mir ein Quartier gaben. Überall wo ich anklopfte, wurde ich abgewiesen. Das werde ich euch niemals vergessen. Vergelt es Gott. Nun wünsche ich euch ein frohes Weihnachtsfest.” Anna fuhr sich durchs Haar und hielt plötzlich ein paar Seidenfäden in der Hand. Sie reichte diese Karina.
“Für jedes dieser Haare habt ihr einen Wunsch frei, doch gebt Acht, dass ihr in eurer Freude darüber nicht übermütig werdet und den Blick für das Wesentliche verliert. Das müsst ihr mir versprechen.”
Sie brachten alle Vier keinen einzigen Ton heraus und nickten nur. Anna ging zur Tür und öffnete sie. Draußen brach gerade die Dämmerung herein.
“Lebt wohl!”, rief sie noch einmal zurück, dann hatte die aufkommende Dunkelheit sie verschluckt.
Karinas Knie zitterten mit einem Male und sie musste sich setzen. Sie blickte zu ihrer Hand ‚Engelshaar’, dachte sie beim Anblick der seidenen Fäden und für ein paar Minuten herrschte Schweigen.
“Mami, Mami!”, hörte sie wenig später die Kinder rufen. “Überall liegen solche Haare und jetzt, hörst du es? Irgendwo läutet ein Glöckchen.” Mara und Lara lauschten und da hörten es auch die Eltern: Das feine Klingen eines Glöckchens.
“Was ist das?”, wollte Mara wissen.
Karina lächelte.
“Anna ist wirklich ein Engel. Wisst ihr, Kinder, immer dann, wenn ein Glöckchen klingelt, bekommt ein Engel seine Flügel.”
“Siehste”, sagte Mara, “Ich habe es doch gleich gewusst, dass Anna ein Engel ist. Aber warum hatte sie keine Flügel, als sie hier war?”
Karina lächelte immer noch: “Sie hat sie sich erst verdienen müssen. Anna hat uns beschenkt und dafür wurde sie mit Flügeln belohnt.”
Es war wohl das schönste Weihnachtsfest seit Jahren, das in dem schäbigen Häuschen am Rande des Dorfes gefeiert wurde.
Und es sollte nicht das Letzte gewesen sein.
(c) Brigitte Kemptner / Brühl
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Brigitte Kemptner

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