Stövchen statt Stößchen

Stövchen statt Stößchen

Jutta Frenzel – 2012/13/14

“Oh, oh“, sage ich halb laut vor mich hin.
“Was ist oh, oh?“, mein Mann schaut von seiner Zeitung auf.
“Hab ich geschlafen, oder warum bekomme ich nicht mit, dass in vier Wochen Heilig Abend ist?“ Ich setze mich ihm gegenüber.
“Dann hast du beim Schlafen was Gutes geträumt, dass dir das jetzt erst auffällt“, bemerkt er trocken.
“Scherzkeks“
“Danke Schatz, das ist nett von dir“, grinst mein Gatte. “Ja, du hörst und siehst kaum was und, wenn du bei der Arbeit bist, bist du komplett weg. Eben in deiner Welt versunken“
“Vergiss nicht die Vermisstenanzeige aufzugeben“, lache ich. “Im Ernst, es wäre mir recht, wenn du mir bei den Weihnachtsvorbereitungen helfen könntest. Ich hab in zwei Wochen eine Auftragsarbeit abzugeben“.
»Okay, wenn das so ist, lass uns darüber sprechen«
Nachdem alles besprochen ist, bin ich auf dem Weg in mein Arbeitszimmer. Ich höre ihn hantieren und Weihnachtslieder singen. Kurze Zeit später kracht es laut. Erschrocken stehe ich auf und eile in die Küche.
“Was ist los?“, frage ich ängstlich und sehe meinen Mann auf dem Küchenboden knien.
“Mir ist nur die Schüssel mit dem Gerät heruntergefallen“, brummelt mir Jakob ärgerlich entgegen.
“Ein Schlüssel ist dir hingefallen? Zu welchem Gerät?“
“Es ist mir KEIN Schlüssel, sondern die Schüssel samt Gerät heruntergefallen“, korrigiert er mich, als ich auf ihn zueile, um ihm zu helfen.
“Lass das bitte Jule, geh an deine Arbeit, ich mache das“.
Ich lächele ihm zu, um ihn aufzumuntern und verschwinde.
Bis zur Mittagszeit widme ich mich dem Projekt und gönne mir eine Pause, als ich mit dem ersten Drittel meines Manuskripts fertig bin.
“Was soll ich zum Mittagessen kochen?“, frage ich, als ich die Küche betrete.
“Hm, aus Zeitmangel sollten wir uns etwas kommen lassen und einen Wein dazu trinken. Das haben wir uns verdient“, antwortet Jakob, als er sich erschöpft auf den Küchenstuhl fallen lässt. Die Zeit, die wir auf das Essen warten, nutzen wir, um die ersten Plätzchen zu backen und aufzuräumen.
Wein und ein Wild-Menü mit Nudeln genießen wir im Esszimmer und unterhalten uns über die Missgeschicke, die uns in den letzten Stunden, passiert sind. Wir haben viel zu lachen. Während ich ins Büro zurückgehe, macht sich mein Mann auf den Weg zum Einkaufen.
An dem Tag, an dem ich den Abgabetermin habe, komme ich müde und erschöpft nach Hause.
“Hallo Jule, wie war dein Tag?“ begrüßt mich mein Mann mit einer Umarmung und hilft mir aus dem Mantel.
“Danke, ist alles bestens verlaufen und ich bin froh. Für den Rest des Jahres habe ich Urlaub“.
Endlich Heiligabend und früh beginne ich den Tag. Kaum ist es Mittag, kommen mein Schwager Urs und mein Bruder Victor mit ihren Familien. Jakob geht mit den Kindern ins Wohnzimmer. Gemeinsam mit den anderen bringe ich das Gepäck ins Haus. Die Geschenke werden im Büro versteckt. Eva, die Frau meines Schwagers und Marie, die Frau meines Bruders, gehen mit mir in die Küche, Urs und Victor verschwinden, um mit den Kindern und Jakob zu spielen.
Die Eltern treffen ein, als wir Kaffee trinken.
“Hey ihr Wichte deckt den Tisch!“, fordere ich die lärmende Bande auf. Als alles fertig ist, gehen wir auf unsere Zimmer.
Schick herausgeputzt sehen wir uns wieder im Wohnzimmer. Wir singen »Oh du fröhliche« und »Stille Nacht« und die Kinder tragen ihre Gedichte vor. Endlich, die Geschenke werden verteilt. Kaum haben alle ihre Gaben, mit einem “Frohe Weihnachten“, geht es ans Auspacken. Hier und da sind “Ohs“ und “Ahs“ zu hören, Jubellaute und helles Lachen genauso wie das eine oder andere Brummen.
Kurz bevor ich das Essen aus der Küche bringen will, sehe ich meine Schwägerin beim Öffnen der Schränke.
“Was suchst du Marie, kann ich dir helfen?“, frage ich und gehe auf sie zu.
»Ich schaue mich nach einem Stövchen um«
“Was möchtest du, ein Stößchen?“, schüttele ich verwundert den Kopf. Die um uns herumstehen fangen an zu lachen, weil ich es falsch verstanden habe. Jakob kommt und legt seinen Arm um meine Schulter.
“Schatz, kein Stößchen, sondern ein Stövchen will Marie. Aber das andere kannst du später haben!“ grinst er fröhlich.

(c) Jutta Frenzel / Kaiserslautern

Zurück zur Seite Jutta Frenzel
Zurück zur Seite Vita und Werke
Zurück zur Startseite

Stövchen statt Stößchen

BLAutor – Arbeitskreis blinder und sehbehinderter Autoren – www.blautor.de

Veröffentlicht von Christiane Quenel I. A. Blautor

Mein Name ist Christiane Quenel. Als Autorin bin ich die Paula Grimm. Als Sprecherin des Arbeitskreises blinder und sehbehinderter Autorinnen und Autoren (BLautor) bin ich seit Ende 2021 auch verantwortlich für die Webseite von BLautor.